Was habe ich getan?
etwa kein Glückspilz?«
Kathryn starrte ihre Freundin an und spürte, dass ihr buchstäblich die Kinnlade herunterfiel.
»Wirklich? Dr. Whittington?«
»Ja, wirklich! Dr. Whittington – oder Max für jene von uns, die ihn splitternackt zu Gesicht bekommen, während er mir um drei Uhr morgens Tee kocht. Gott, schau mich nicht so an, Kate. Es ist, als hätte ich dir gerade gebeichtet, dass ich ein abscheuliches Verbrechen begangen habe, so missbilligend, wie du dreinschaust. Warum schaust du so? Liegt es etwa daran, dass er außerhalb meiner Liga spielt? Du hast natürlich recht, das tut er, und ich weiß, dass wir uns eigentlich nicht mit Eltern unserer Schüler zusammentun dürfen, aber er ist wirklich süß, und ich bin ziemlich scharf auf ihn, genau genommen superscharf. Ich kann fast garantieren, dass der junge Jakob eine Eins mit Stern bekommt, die er ja unbedingt haben will, falls das bedeutet, dass ich seinen Daddy weiterhin treffe. Kate, sag etwas, irgendetwas …«
»Du bist gar nicht lesbisch?«, platzte es aus Kathryn heraus.
Die Frage traf Natasha unvorbereitet und verschlug ihr vorübergehend die Sprache, bis sie schließlich, den Kopf in den Nacken gelegt, vor Lachen loskreischte, laut und hemmungslos.
»Ich bin was nicht?«
»Eine Lesbe«, wiederholte Kathryn, der es peinlich war, das Wort auf dem Schulgelände überhaupt auszusprechen.
»Eine Lesbe? O mein Gott! Wieso glaubst du das? Weil ich kurze Haare habe und Männerschuhe trage?«
»Nein! Nein, Natasha, überhaupt nicht. Es ist nur, weil Mark gesagt hat …«
»Ach, das hätte ich mir ja denken können. Mark würde eine Lesbe nicht erkennen, selbst wenn eine daherkäme und ihn in den Hintern beißen würde. Er ist so wild darauf, jeden mit seinen abscheulichen Klischees in eine Schublade zu stecken. Pfui, so ein Widerling! Nicht etwa, dass ich mich einen Dreck darum schere, was er von mir hält. Aber er könnte mit seinen gemeinen Gerüchten und Spitznamen wirklich Schaden anrichten.«
Mit einem Mal fiel ihr wieder ein, dass sie sich nicht nur mit ihrer neuen Freundin unterhielt, sondern auch mit Marks Ehefrau.
»Tut mir leid, Kate, nichts für ungut, aber du weißt, wie ich das meine.«
»Schon gut, mir tut es leid. Ich hätte nie davon ausgehen dürfen, dass seine Mutmaßung richtig ist. Ich hätte es besser wissen müssen. Und dabei war ich mir mit meiner allerersten lesbischen Freundin so schrecklich kosmopolitisch vorgekommen.«
»Ach, meine Liebe, dann habe ich dich also wirklich enttäuscht? Es tut mir leid, falls ich deine Erwartungen mit meinen langweiligen heterosexuellen Praktiken und meinen auf Männer ausgerichteten Beischlafgewohnheiten nicht erfülle.«
Die beiden Frauen lachten und schlenderten Arm in Arm davon. Die Shop-Angestellten schauten ihnen nach, als sie das Geschäft verließen, und keine machte eine Bemerkung, als Natasha Kathryn scherzhaft in den Hintern zwickte, während sie gerade um die Ecke bogen.
»Na ja, Kate, falls sie reden wollen, können wir ihnen doch ein bisschen Gesprächsstoff liefern.«
Kathryn war zusammengezuckt und zurückgeschreckt, nicht etwa wegen des Scherzes ihrer Freundin oder gar aus Verlegenheit, weil er zu Klatsch und Tratsch führen würde, sondern weil Natasha versehentlich einen Schnitt aufgerissen hatte, der gerade verheilt war und jetzt erneut zu bluten begann.
Kathryn schmunzelte bei der Erinnerung. Sie klappte die Spülmaschine zu und konzentrierte sich auf die nächste Aufgabe. Dienstag, Dienstag … Denk nach, was waren die Dienstagsaufgaben? Sie hatte jahrelang Zeit gehabt, sich den Wochenkalender einzuprägen, und trotzdem ertappte sie sich häufig dabei, dass sie ihn vergaß. Das musste am Alter liegen. Ach ja, nun fiel es ihr wieder ein. Zu den Dienstagsaufgaben zählte im Arbeitszimmer alle Lehrbücher von Marks Regalen zu holen, die Regalbretter wie auch jedes einzelne Buch abzustauben und die Bücher wieder hinzustellen, die Betten der Kinder abzuziehen, die Bettwäsche zu waschen und zu bügeln, im Blumenbeet neben der Hintertür zur Küche das Unkraut zu jäten, das Familienbad sowie das ans Schlafzimmer angrenzende Bad gründlich zu putzen und sicherzustellen, dass die Badewannen, Wasserhähne und Toiletten glänzten. Und schließlich musste sie das Parkett im Flur wachsen und polieren, bevor sie ins Dorf ging, um acht Bio-Lachsfilets und das dazu passende Gemüse zu kaufen. Es war ein Tag wie jeder andere, aber trotzdem ein arbeitsreicher Tag.
Kathryn
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