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Was habe ich getan?

Was habe ich getan?

Titel: Was habe ich getan? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Prowse
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stellte den Wasserkocher an. Die Lachsfilets waren in Kräutern gewälzt worden und brutzelten vor sich hin, der Spargel und die in Streifen geschnittenen Zucchinis lagen im Dampfkochtopf, und in zehn Minuten würde sie sich gepflegt und hübsch machen müssen. Sie zog das dünne Buch aus seinem Versteck zwischen zwei Kochbüchern hervor. Sie wusste, dass niemand zwischen Jamie Genial italienisch und Jamie Unterwegs nachschauen würde.
    Sie schlug R. K. Narayans Reifeprüfung auf.
    Als man anfing, Rao als den ältesten Mann der Stadt zu bezeichnen, wurde sein Alter auf zwischen neunzig und einhundertfünf Jahren geschätzt. Er war mit dem Zählen jedoch schon lange durcheinandergekommen und verabscheute Geburtstage; vor allem nach seinem achtzigsten, als ihn seine Verwandtschaft in einem Schwarm von überall her überfallen, ihn in aufwendige Rituale verwickelt und aus seinem achtzigsten Geburtstag mit plärrenden Flöten und Trommeln eine öffentliche Schau gemacht hatte. Der religiöse Teil war so anstrengend gewesen, dass er danach fünfzehn Tage lang mit Fieber daniedergelegen hatte.
    ***
    Die kurzen Abschnitte, die sie jeden Tag lesen konnte, reichten aus, sie zu verzücken, ihr in den freien Minuten eine Möglichkeit zur Flucht zu bieten. Die zeitliche Beschränkung gestattete ihr gerade einmal, jedes Mal kaum mehr als achtzig Wörter zu lesen, aber diese achtzig Wörter waren ihre Rettung. Denn in den folgenden Stunden war sie mit vielen Fragen beschäftigt. Wie alt war Rao tatsächlich? Wo lebte er? Wann war er gestorben und in welchem Alter?
    Kathryn nahm ihre Teetasse mit nach oben zum Frisiertisch und setzte sich vor den Dreifachspiegel, der so angewinkelt war, dass sie sich sah, wohin sie auch blickte. Es gab kein Entrinnen.
    Sie berührte das kühle Glas mit ihrem Finger und fuhr das Spiegelbild ihrer Nase, ihrer Augen und ihres Mundes nach. Sie starrte das Bild vor sich an, das Gesicht einer traurigen, im Spiegel gefangenen Frau, die ihr Lächeln einstudieren musste.
    Kathryn sah sich außerstande zu entscheiden, welches das echte Bild war. War es das unauffällige, kühle Gesicht, das sie anstarrte, oder die verwirrte, einsame Maske, durch die sie die Welt betrachtete? Als sie ihre Hand zurückzog, wurde ihr klar, dass das keine Rolle spielte. Es war immer dieselbe Frau mit dem wenig prägnanten Gesicht, die unter gesenkten Lidern hervor ausdruckslos aus dem Spiegel starrte.
    In solchen Momenten hatte Kathryn den Eindruck, in einem Zustand am Rande des Wahnsinns zu leben. Sie nahm jedoch an, dass es Hoffnung gab, solange sie immerhin erkannte, dass die Art und Weise, wie sie lebte, tatsächlich verrückt war.
    Sie kämmte sich die vom Shampoo verklebten Haare und steckte einen Clip aus Markasit an die Seite, um von den Haaren abzulenken. Was hatte Dominic an diesem Morgen gesagt? »Du siehst wie eine Geisteskranke aus.« Jede gemeine Bemerkung tat weh, aber ihre Wirkung wurde verdoppelt, wenn nicht gar verdreifacht, sobald sie von jemandem ausgesprochen wurde, den man lieb hatte.
    Sie trug ein wenig Rouge auf ihre Wangen auf und sprühte Parfum auf ihr Dekolleté. Wie gewöhnlich kam ihr ein Liedtext in den Sinn und schwirrte ihr im Kopf herum, bis sie zuhörte und auf die Worte achtete.
    Denn Ehefrauen sollten auch immer Geliebte sein.
    Lauf in seine Arme, sobald er zu dir nach Hause kommt.
    Ich warne dich.

Vor vier Jahren
    Das Haus auf der Klippe in Cornwall konnte man am besten als weitläufig beschreiben. Es war Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts erbaut worden, als keine Knappheit an heimischem Baumaterial herrschte – aus der Zusammenarbeit eines extravaganten und launenhaften Architekten, der eine Schwäche für den New-England-Stil hatte, mit einem reichen Zinnbaron, der sich ein seiner Stellung angemessenes Heim wünschte.
    Das Ergebnis waren Korridore, die zu keinem bestimmten Ziel führten, und ein Bauwerk, das nicht nur mit einem, sondern mit drei Türmen im gotischen Stil und zahllosen Fenstern aufwartete, die besser zu einer Kirche gepasst hätten und kaum Licht in die kleinen quadratischen Räume brachten. Eine überdachte Terrasse verlief an der gesamten Front des Gebäudes entlang, mit massiven Verandapfosten und Giebelbogen verziert. Sie vermittelten den Eindruck, das Haus stünde in New Hampshire.
    Eine Holzschaukel, gerade breit genug für zwei Erwachsene, die sich gut kennen, war an einem langen Bauseil befestigt und an einem Ehrenplatz links neben der Eingangstür aufgehängt

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