Was habe ich getan?
Risiko nicht eingehen. Die einzige Möglichkeit, den Text zu sehen, bestand darin, die Arme im rechten Winkel und das Buch auf Augenhöhe zu halten. Schon bald bekam sie einen Krampf, aber sie hatte keine andere Wahl, als zu versuchen, ihn zu ignorieren.
Da fiel ihm in die Rede der göttergleiche Achilleus:
»Wahrlich, feige und nichtig würde mit Recht ich geheißen,
Gäb ich dir nach in jeder Sache, was immer du forderst,
Anderen trage das auf; doch mir gib keinerlei Weisung
Mehr, denn ich werde dir fortan, meine ich, nicht mehr
gehorchen.
Noch etwas anderes sage ich dir, du beweg es im Herzen:
Mit den Händen werd’ ich nicht kämpfen wegen des Mädchens,
Weder mit dir noch andern, weil ihr die Gabe mir wegnehmt;
Aber was sonst noch mein bei dem schwarzen Schiffe, dem
schnellen,
Davon würdest du nichts wegnehmen ohne mein Wollen.
Aber wohlan, versuch es, damit auch die hier erkennen,
Wie alsbald dein schwarzes Blut um die Lanze herabströmt.
Kathryn kämpfte darum, die unnatürliche Position beizubehalten, kämpfte gegen den Wunsch an, sich aus den Seidenfesseln herauszuwinden. Für eines war sie dankbar: Da Mark das Gesicht abgewandt hatte, konnte sie stumme Tränen vergießen, während sie die Worte laut in die Morgendämmerung sprach.
Wie gewöhnlich kündigte der Wecker einen neuen Tag an.
Ihre Augen, rot und schmerzend, tränten. Sie weinte nicht mehr bewusst, aber es war, als würde ihre Seele Tränen vergießen. Sie lallte wie eine verwirrte Säuferin. Ihre verkrampften Muskeln und schmerzenden Glieder waren wie taub, und jede kleinste Bewegung tat höllisch weh.
Ihr Mann sprang geradezu aus dem Bett und absolvierte ein ausgeklügeltes Programm an Streckübungen, und dazu gähnte er, um anzuzeigen, wie gut er geschlafen hatte. Er ging langsam zu dem Stuhl hinüber und löste den Knoten des Seidenschals. Unwillkürlich fiel ihr Kopf nach vorn und fühlte sich erstaunlich leicht und wackelig an, als hätte ihr Hals vergessen, wie er das Gewicht ohne fremde Hilfe zu tragen hatte.
Mark ergriff ihre Hand und half ihr beim Aufstehen. Als sich ihre Beine von dem Bastsitz lösten, spürte sie einen heftig stechenden Schmerz, so als wären ihre Haut und der Stuhlsitz miteinander verschmolzen gewesen und als könnte die Trennung nur unter Höllenqualen vollzogen werden.
»Komm.«
Er gab ihr den üblichen Befehl, das eine Wort, mit dem er sie herbeirufen oder herumdirigieren konnte. Sie gehorchte ihm, weil sie in jeder Hinsicht zu schwach war, um aufzubegehren oder Widerstand zu leisten. Er legte sie mit dem Gesicht nach unten auf das Bett und verging sich auf die gewohnt brutale Weise an ihr. Da sie ausgestreckt auf der Matratze lag, spürte ihr Gesicht die Weichheit des Kissens. Sie fiel in einen tiefen Schlaf, der sie bewegungsunfähig machte und nicht mehr spüren ließ, was mit ihr geschah.
Er klopfte ihr auf die Wange und weckte sie auf.
»Es ist Zeit, dass ich unter die Dusche gehe und du das Frühstück für die Kinder zubereitest. Wir sind ein paar Minuten zu spät dran, deshalb kannst du heute nicht duschen, du Schlafmütze.«
Kathryn zog das Bett ab und schlüpfte in ihre Kleider, aber die Erschöpfung führte dazu, dass sie schwach und wackelig auf den Beinen war. Auf der Treppe schwankte sie, und sie musste sich am Geländer festhalten, um sicherzustellen, dass sie nicht stürzte. Sie steckte die Bettwäsche in die Waschmaschine und fing an, den Tisch zu decken, sie tastete wie eine Blinde im Schrank nach der Müslipackung, Brot, Honig und allem anderen herum, das sie für einen guten Start in den Tag für notwendig hielt.
Dominic erschien als Erster. Sie sah ihn an und wartete auf seinen Kommentar. Sie suchte nach dem Schalter, der ihre Stimme heiter und glücklich klingen ließ und ihren Kindern jeden Morgen das Gefühl vermittelte, dass die Welt rundum in Ordnung war. Aber so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte den Schalter nicht finden.
»O mein Gott! Du siehst ja absolut beschissen aus.«
Sie nickte und strengte sich an, die Tränen hinunterzuschlucken, die sich in ihren geschwollenen Augen sammelten. Noch immer fand sie keine Worte. Sie flehte ihn mit ihrem Blick an: Bitte, Dominic, bitte sei heute nett zu mir.
»Was ist los, bist du krank, Mum? Ist es das?«
»Ja, wahrscheinlich.«
Eigentlich hatte sie mehr sagen wollen, aber der Erschöpfungszustand, in dem sie zu funktionieren versuchte, verhinderte die Erledigung selbst der einfachsten Aufgaben.
Ihr Sohn nahm
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