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Was habe ich getan?

Was habe ich getan?

Titel: Was habe ich getan? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Prowse
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anzog.
    Sie begann zu lesen, bemühte sich, einen Rhythmus zu finden, während ihre Zunge die fremdartigen Worte bildete.
    Göttin, singe mir nun des Peleussohnes Achilleus
    Unheilbringenden Zorn, der tausend Leid den Achäern
    Schuf und viele stattliche Seelen zum Hades hinabstieß
    Der Heroen, sie selbst zur Beute machte den Hunden
    Und den Vögeln zum Fraß – Zeus’ Ratschluss ging in
    Erfüllung.
    Kathryn war sich nicht sicher, wie viel Zeit vergangen war. Sie hatte den Eindruck, es waren Stunden, doch in Wahrheit war es nur eine Stunde gewesen. Sie fröstelte, als der kühle Wind über den Boden strich, unter der Tür hindurch zog und sich in einem Wirbel um ihre Füße und Waden sammelte, sodass ihr ganzer Körper vor Kälte zitterte und zuckte.
    Der Bastsitz hatte angefangen, ihr durch den dünnen Stoff des weißen Nachthemds in die Oberschenkel zu stechen, und ihre kaum verheilten Schnitte schmerzten. Sie verspürte den starken Wunsch, aufzustehen und die Position zu wechseln, um weniger Schmerzen zu haben. Die Wörter begannen zu verschwimmen. Jeder Buchstabe wurde zu einem schwarzen Staubpartikel auf der hellen Seite: Sie waren nicht mehr als Wörter zu erkennen, sondern lediglich Schmutzflecken und Gebilde, die ihr vor den Augen schwammen und das Entziffern jeder Silbe und jeder Strophe fast unmöglich machten. Ihr Kopf ruhte schwer auf ihrem Hals, wie ein Fleischklops, der von einer Spaghettinudel gehalten wird. Er wankte und suchte Halt, indem er ihr auf die Brust sank. Ihre Kehle war ausgetrocknet, jedes Wort eine verdörrte Hülse. Sie wollte etwas trinken, aber vor allem wollte sie schlafen.
    Ihre Augen brannten und juckten, und Krämpfe zogen ihre Unterarme hinauf, die dagegen protestierten, das schwere Buch so lange ohne Stütze zu halten. Sie hatte einen langen Tag hinter sich, einen anstrengenden Tag, so wie immer. Sie wollte die Augen schließen, nur für eine Sekunde …
    Peng! Zwei gleichzeitige Geräusche weckten sie auf, darauf folgte ein stechender Schmerz. Das erste Geräusch war der Aufprall ihres Schädels gegen die Lehnensprosse des Stuhls gewesen, und der zweite der Schrei vor Schreck und Angst, den sie ausgestoßen hatte, als sie plötzlich aus ihrem Traum gerissen wurde. Den Schmerz verspürte sie an ihrem Kopf, der dagegen protestierte, mit Wucht gegen die Holzlatte gestoßen zu werden. Ihr Atem ging flach und stoßweise. Sie musste eingeschlafen sein, nur für eine Sekunde.
    »Ist alles in Ordnung, Dad?«, rief Dominic, von dem Schrei alarmiert, durch die geschlossene Tür.
    »Ja, Sohn, schlaf weiter. Ich glaube, Mummy hatte einen Albtraum.«
    Das Knarren der Holzdielen verriet, dass Dominic wieder in sein Zimmer zurückkehrte.
    Ich lebe in einem Albtraum.
    Kathryn spitzte die Lippen und widerstand der Versuchung, das auszusprechen oder schlimmer noch, noch einmal zu schreien, um Hilfe, um Rettung zu schreien.
    Das Buch war ihr zugeklappt auf den Schoß gefallen. Mark stand groß neben ihr und hielt sie an den Haaren fest, um ihren Kopf hoch zu halten. Er sprach leise, sein Gesicht war unsichtbar, weit über und ein Stück hinter ihr.
    »Es wäre nicht ratsam, die Kinder noch einmal aufzuwecken, Kathryn. Als ich heute Abend gesagt habe, dass du mir vorliest, habe ich gemeint, dass du mir heute Nacht vorliest, nicht einen Teil der Nacht, sondern die ganze, ist das klar, Schatz?«
    »Ja.« Ihre Stimme klang heiser.
    »Gut.« Er beugte sich herab und küsste sie auf den Mund.
    »So ist es brav, mein Mädchen. Ich denke, vielleicht sollten wir die letzten paar Seiten noch einmal lesen, wer weiß, wie viel du ausgelassen hast.«
    Er ließ ihre Haare los und ging zur Kommode hinüber. Nachdem er zwischen seiner Unterwäsche gekramt hatte, zog er einen Seidenschal mit Fransen hervor. Sie starrte diesen an, weil sie fürchtete, was als Nächstes kommen könnte.
    »Lehn dich zurück, meine Süße.«
    Sie setzte sich kerzengerade hin.
    Mark nahm den Schal und schlang ihn um ihre Stirn und unter ihrem Kinn hindurch. Er ergriff die Enden und verknotete sie an der Stuhllehne. Sie war so festgebunden, dass sie nicht einmal ihren Kopf drehen konnte.
    »Du darfst jetzt weiterlesen, Kathryn.«
    Zum zweiten Mal an diesem Abend legte er sich mit dem Gesicht nach unten auf das Bett und machte es sich bequem, wieder mit abgewandtem Gesicht. Das sofortige Heben und Senken seines Rückens ließ den Schluss zu, dass er eingeschlafen sein könnte. Das war möglicherweise der Fall, aber sie konnte das

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