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Was habe ich getan?

Was habe ich getan?

Titel: Was habe ich getan? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Prowse
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über diese Mädchen schon im frühesten Kindesalter Berichte geschrieben und Urteile gefällt worden waren.
    Bereits bevor die erste Woge der Pubertät über ihnen zusammenschlug, waren sie charakterisiert, eingestuft und abgestempelt worden, und damit war auch ihr Schicksal besiegelt. Es gab sowieso nur eine gewisse Anzahl an charakterlichen Veränderungen, die das System überhaupt als möglich in Betracht zog, und keine davon war besonders positiv. Laut den in dreifacher Ausfertigung ausgedruckten Blättern, mit denen es Kate täglich zu tun hatte, handelte es sich bei den Mädchen fast ausnahmslos um schwierige und hoffnungslose Fälle.
    Das war der Punkt, an dem Kate und ihr Team ins Spiel kamen. Ein Blick in Tanyas Akte genügte, um zu erkennen, dass sie ein Standardfall war, leider. Nachdem Tanya wiederholt körperlich misshandelt worden war, hatte man sie ihrer Mutter im Alter von sechs Jahren weggenommen. Nach Aufenthalten in zwölf Pflegefamilien und zwei Heimen hatte sie sich im Maßregelvollzug für Jugendliche wiedergefunden und war schließlich wegen Beihilfe zum Diebstahl und unerlaubten Tragens einer Waffe im Gefängnis gelandet.
    Kate war sich sicher, dass Prostitution, Drogenmissbrauch und eine ganze Reihe psychischer Probleme hinzukamen. Sie schnipste die Akte zu und schob sie in eine bereits volle Schublade. Sie würde ihre eigene Einschätzung vornehmen, indem sie Tanya in die Augen blickte und sich mit ihr unterhielt. Sie schenkte dem, was sie da las, keine große Beachtung mehr, weil sie wusste, dass diese weißen Aufkleber bei jedem der Mädchen unter ihrem Dach austauschbar waren. Sie hatten alle das gleiche Leben geführt, schienen alle irgendwie gleich zu sein. Doch das waren sie nicht, nicht für sie. Es war ihre Aufgabe, ihnen zu helfen, sich das selbst klarzumachen.
    Sie überlegte, was auf ihrem eigenen weißen Aufkleber stehen könnte: Eine gefühlskalte Mörderin ohne Reuegefühle, die allem Anschein nach ihre Kinder im Stich gelassen hat und der Obrigkeit gegenüber eine gewisse Gleichgültigkeit an den Tag legt. Vor einer Weile hatte sie einmal gesagt: Ich verstehe, dass manche Menschen nur das sehen, was sie sehen wollen.
    Kate war zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar, um sich um die vielen unterschiedlichen Notfälle zu kümmern, die sich wöchentlich im Haus ereigneten. In den vier Jahren hatte sich allerlei dort abgespielt, von Selbstmordversuchen (zweimal), über einen Brand (einmal), einen Rohrbruch (einmal), diverse Schlägereien (dreiundsechzigmal) bis hin zur unverhofften Geburt eines Babys auf dem Toilettenboden. Das Neugeborene, Jayden Lee, hatte ein beachtliches Geburtsgewicht von über sechs Pfund auf die Waage gebracht und lebte heute mit seiner Mutter und deren neuem Partner in Truro.
    Man konnte das Dasein im Haus zur Aussicht mit vielen Worten beschreiben, doch das Adjektiv langweilig zählte ganz gewiss nicht dazu. Kate wusste, dass die Bewohnerinnen bereit waren, es wieder zu verlassen, sobald die Reise von Hoffnungslosigkeit zur Hoffnung abgeschlossen war. Diese Reise hatte bei jedem ihrer Gäste – bislang sieben – eine enorm unterschiedliche Dauer gehabt. Der Prozess der Heilung war häufig langwierig und anstrengend, wenn man ohne Optimismus oder einen Grund für positive Gefühle hier ankam. Nur die Mutigen wagten sich an einen solchen Kraftakt heran, und nicht allen gelang er. Für manche war es keine gute Erfahrung, den Teppich beiseitezuziehen und sich mit den wenig erfreulichen Dingen zu beschäftigen, die sich darunter angesammelt hatten. Für einige endete dieser Kraftakt mit Enttäuschungen.
    Für Kate war die Erkenntnis eine bittere Lektion gewesen, dass sie für manche Menschen zu spät kam. In diesen Fällen war es besser, den Schleier über ihren Problemen nicht zu lüften. In ihrem Haus konnte man ihnen nur bis zu einem gewissen Grad helfen, aber jedes der Mädchen ging mit der Zusicherung, dass ihm die Tür immer offen stand, falls sie es noch einmal versuchen wollte. Für viele stellte schon diese Möglichkeit eine große Hoffnung dar.
    Tom ging an der offenen Tür des Arbeitszimmers vorbei, einen Stapel sauberer Handtücher auf dem Unterarm balancierend.
    »Ach, Tom?«
    Er ging wieder zurück und achtete darauf, dass sein Handtuchstapel nicht umkippte.
    »Ja, Chefin?«
    »Vergiss nicht, dass Tanya heute kommt. Ihr Zug fährt um halb drei ein. Können wir etwas vorbereiten, falls sie ausgehungert ist?«
    Er nickte. Es hatte keinen Zweck,

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