Was ich dich traeumen lasse
musste zu dieser Untersuchung und deine Mutter wollte sie begleiten. Wir waren die Einzigen, die als Babysitter übrig blieben.
»Und wenn sie sich die Hose vollscheiÃt?«, fragte ich und du sagtest: »Dann machen wir ihr eine neue. Früh übt sich.« Ich lieà das so stehen, ich merkte, wie ernst es dir war. Dass du wirklich schon so weit dachtest. Weit über alles hinaus, was in meinem Sichtfeld war.
Wir legten sie in den Wagen und spazierten durch den Stadtpark. Fast dieselbe Strecke wie bei unsrem ersten Date.
»Wer uns jetzt sieht, der denkt, wir sind eine junge Familie«, sagtest du.
Und ich: »Die denken, das arme Mädchen, schon so früh einen Braten in der Röhre gehabt. Und der Junge muss jetzt bei ihr bleiben, obwohl er sich viel lieber den Wind um die Nase wehen lassen würde.«
Aber das wolltest du nicht hören: »Sie denken alle, dass es ein verdammtes Glück ist, schon in so jungen Jahren zu wissen, dass man angekommen ist.«
Sie schrie. Du holtest sie aus dem Wagen, wiegtest sie in den Armen und sangst für sie. Erinnerst du dich, was? Ausgerechnet Jupiter Jones, So still . Ich sagte: »Du weiÃt aber schon, worum es in dem Lied geht, oder?« Ja, du wusstest es. Aber es war dir egal. Sie konnte den Sinn noch nicht verstehen. Für sie war es nur ein Lied. Sie wollte nur, dass du singst. Und es funktionierte tatsächlich, sie wurde still.
Du sagtest: »Ist doch toll, so ein kleines Wesen hat noch sein ganzes Leben vor sich. Die ganze Kindheit. Ich hätte echt nichts dagegen, noch mal klein zu sein. Du?« Du merktest nicht, dass ich nicht antwortete, du redetest weiter: »Als Kind, da ist man doch voll sorgenfrei. Kinder fragen sich nie, ob was Sinn macht oder nicht. Sie tun, worauf sie Lust haben, weil sie wissen, dass die Eltern sich den Kopf für sie machen.« Ja, so war das bei dir gewesen. Und so war es auch jetzt noch. Du hast keine Ahnung, wie sehr ich dich beneidete.
Du sagtest: »Komm, die Top Ten deiner schönsten Kindheitserlebnisse!«
Und ich: »Du immer mit deinen Top Ten. Keine Lust.«
Du hattest Lust: »Also gut, ich fang an. Nicht chronologisch, nicht nach Wertigkeit, voll durcheinander.« Du zähltest an den Fingern ab: »Carrera-Rennbahn unterm Tannenbaum. Isabella bekommt Schokoladenverbot und ich darf ihre Portion mitessen. Papa nimmt mich das erste Mal mit zum Segeln und ich darf lenken. In dem Baum vor meinem Fenster wohnt eine Amselfamilie. Mit einem Delfin schwimmen. Mama schenkt mir ihr Handy. Papa tut so, als würde er beim Armdrücken verlieren. Isabella lässt mich ihre Brüste sehen. Ich darf den Räuber Hotzenplotz im Theaterstück spielen. Mama und Papa weinen, als ich ihnen zum Hochzeitstag dieses Gedicht aufsage. Wie ging das noch. Irgendwas von Ringelnatz. Ich hab dich so lieb, ich würde dir ohne Bedenken eine Kachel aus meinem Ofen schenken. Jetzt du.«
Aber ich musste nicht. Ich musste nicht einmal sagen, dass ich nicht wollte. Ich musste dich nicht beschimpfen, um von mir abzulenken. Sie nahm es mir ab. Sie schrie wieder. Und du musstest es dreimal hintereinander singen. So still. So still. So still. Bis sie still war. Danach wolltest du ein Eis und hattest es vergessen.
*Â *Â *
Im Ahorn sind sie auch nicht zu finden. Die Richtigen. Welche, die sich reimen. Ein Gedicht ergeben. Eins, das Rico mir geschrieben hätte. Eins, das mich zum Weinen bringen kann.
Mich.
Ein einziger Satz steht auf meinem Notizblock. Eine Zeile.
Bevor du eingeschlafen bist, war alles gut.
Hut. Blut. Mut.
Jetzt fehlt mir jeder Mut.
Stimmt nicht.
Jetzt fehlt mir jeder Mut.
Als du da lagst, gab es nicht mal Blut.
ScheiÃe!
Als du da lagst, gab es nicht mal Blut.
Da kam der Laster und du nahmst den Hut.
Ich reiÃe das Blatt aus dem Notizheft und knülle es zusammen.
Noch mal neu.
Wach auf, mein Liebster, wach auf.
Lauf. Kauf. Zuhauf. Drauf.
Wach auf, mein Liebster, wach auf.
Dein Lächeln, ich vermiss es so.
Froh. Zoo. Klo.
ScheiÃe!
»Was machst du da?«
Ich klappe das Notizheft zu. »Nichts.«
Er steckt sich eine Kippe in den Mund, zündet sie nicht an.
»Rauchst du nicht mehr?«
»Versuche es mir abzugewöhnen.«
»Wieso?«
»Nur so.« Er dreht die Zigarette mit den Zähnen. »Und, hat es ihm geschmeckt?«
»Er hat dran gerochen.«
»Hast du ihm erzählt, dass ich dabei war?«
»Nein.
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