Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was im Leben zählt

Was im Leben zählt

Titel: Was im Leben zählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
Vom Netzwerk:
viele Jahre Zeit zu regenerieren, und obwohl unsere Schnitzerei uns damals unauslöschlich erschien, weiß man nie, was von Dauer sein wird, was bleibt und was schließlich doch vergeht.
«Darcy!», schreie ich weinend. «Darcy!» Endlich bin ich da, stehe vor ihr, sehe, wie schlimm es ist. Die Beine sind von Schnee bedeckt, die Hände stecken tief in den Taschen, als könnte sie das warm halten.
Ich schreie und schreie, doch sie kann mich nicht hören, entweder weil ich ein Geist bin oder weil sie selbst schon zu weit weg ist. Mir gelingt es, mich zurück zu mir selbst zu zwingen, zurück ins Bewusstsein, zurück in die Gegenwart – Vertrau mir, vertrau dir selbst –, und weil ich diesmal tatsächlich die Kontrolle habe, anstatt kontrolliert zu werden, habe ich diese Parallelwelt auf einen Schlag verlassen und bin zurück in meiner eigenen, wo ich vielleicht noch die Chance habe, Darcy zu retten.

    Mit einem Ruck komme ich zu mir. Ein Blick auf die Computeruhr sagt mir, dass ich gerade mal fünfzehn Minuten verloren habe, auch wenn ich mich so erschöpft fühle, als hätte ich in einer Zeitschleife gesteckt, die Monate, vielleicht sogar Jahre aus mir herausgesaugt hat. Ich möchte Darcy retten, aber ich weiß, dass sogar mir Grenzen gesetzt sind. Ich brauche jemanden, der stark ist, fähig, jemanden mit Kraft, der sie aus dem Wald schleppen kann, ohne dass dabei noch mehr passiert.
    Ich greife zum Telefon und wähle hektisch Austins Nummer. Es klingelt viermal, dann schaltet sich der Anrufbeantworter ein. Ich versuche es noch mal – Aufwachen!  –, aber mit demselben Ergebnis. «Äh, hallo, hier ist Austin. Ihr wisst schon, das Übliche eben.» Piep .
    «Tyler! Austin! Aufwachen! Darcy ist verunglückt, ich brauche eure Hilfe. Wacht verdammt noch mal auf! » Ich brülle in den Hörer und warte, ob sich etwas rührt, aber am anderen Ende nimmt niemand ab. Ich knalle den Hörer auf und versuche es auf Tylers Handy. Ich werde sofort zur Mailbox weitergeleitet, und in mir steigt brodelnde Wut auf, weil ich genau weiß, dass sie ohnmächtig auf der Couch liegen und sich von dem berühmten Bier zu viel erholen, während meine kleine Schwester irgendwo hinter meinem Elternhaus im Wald liegt und erfriert.
    Ich halte inne und überlege. Zuverlässig. Fähig. Kräftig. Die Zahl mir bekannter Männer mit diesen Charakterzügen ist gegen null gesunken. Bis mir doch noch einer einfällt. Ja, einen gibt es noch, und der ist sicher schon wach, weil er auch nie schläft, genau wie ich, und er kommt, wenn ich ihn bitte, weil er etwas bewirken will, genau wie ich. Ich hebe wieder ab und rufe den einzigen Menschen an, der mir vielleicht helfen kann. Eli.

[zur Inhaltsübersicht]
    Fünfundzwanzig
    D arcy liegt haargenau da, wo ich sie gesehen habe. Eli war so klug, den Notarzt zu rufen, der nur ein paar Minuten nach uns kommt, und an Decken hat er auch gedacht. Ich schleppe Darcys Winterjacke mit, die zusammengeknüllt am Fußende des Gästebetts lag. Darcy ist zwar nicht bei Bewusstsein, aber ihr Atem geht gleichmäßig, und Eli meint, dass davon viel abhängt. Ich glaube ihm, weil es klingt, als wüsste er, wovon er spricht. Er hält sie für stabil genug für den Transport, und dann hebt er sie hoch. Er erinnert mich an das Gemälde mit dem Retter, das ich in der Sonntagsschule mal beschreiben musste.
    Während wir durch den Wald zurück zu seinem alten BMW laufen – Eli hat ihn vor Eile fast in den Graben gesetzt –, zu den wartenden Sanitätern, senkt sich die Schuld wie ein Schleier auf mich herab. Hätte ich mir doch die Zeit genommen, alle Puzzleteile zu finden, das Bild komplett zusammenzusetzen! Wäre ich nur nicht zu egoistisch – und zu bockig – gewesen, um mir ihre Bilder anzusehen, nachzusehen, was das Schicksal für sie bereithält. Doch ich habe es nicht getan, und das haben wir jetzt davon.
    Wir folgen dem Krankenwagen ins Krankenhaus, Luanne kommt mir entgegengerannt und nimmt mich kurz in die Arme, dann ruft sie meinen Vater an. Aus einem Seitenflur taucht plötzlich Ashley auf und umarmt mich fest und lange, ein stummes Zeichen ihrer festen Überzeugung, dass ich einen Weg gefunden habe, mir endlich Klarheit zu verschaffen, die Gabe zu nutzen, die sie freigelegt hat.
    Eli besorgt Kaffee, und dann sitzen wir da, in einem Kokon aus Stille inmitten des lärmenden Infernos der Notaufnahme. Ärzte, die Anweisungen rufen, die Martinshörner ankommender Rettungswagen, wütende Angehörige, die sich mit dem

Weitere Kostenlose Bücher