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Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)

Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)

Titel: Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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Auf diese Weise ist seine Grenze nirgends. So wird der Spruch evident.
    Haec definitio data est per modum imaginandi ut centrum (continuum) ipsam primam causam in vita sua. Terminus quidem suae ostensionis (extensionis) est supra ubi et extra terminans. Propter hoc ubique est centrum eius, nullam habens in communia (in anima) [ 17 ] dimensionem. Cum quaerit circumferentiam suae sphaericitatis, elevatam in infinitum dicet, quia quicquid est sine dimensione sicut creatoris (creationis) fuit et in initium est et sic terminus nusquam. Sic patet propositum.[ 18 ]

    Der zweite der vierundzwanzig Philosophen spricht die berühmteste der vorgetragenen Gottesdefinitionen aus. Sie hat eine glänzende Nachgeschichte. Dietrich Mahnke hat sie 1937 zum ersten Mal dargestellt; Alexandre Koyré verfolgte sie weiter. Sie hat von Meister Eckhart über Nikolaus von Kues und Giordano Bruno bis zu Jorge Luis Borges die Geister bewegt.
    Der Autor stellt uns ein geometrisches Gebilde vor, den Mittelpunkt einer Kugel, erweitert es aber ins Unendliche, so dass die Vorstellungskraft an ihr versagt. Was ist eine Kugel, deren Mittelpunkt überall wäre? Das ist keine Kugel mehr, sondern die reine Unendlichkeit. Das Wort ‹Kugel› evoziert zunächst ein phantasienahes Bild; hier wird es zerstört durch den philosophischen Gedanken der Unendlichkeit.
    Der Kosmos als einzige und vollkommene Kugel – das war in den hochgradig partikularisierten Zivilisationen der griechischen Welt eine kühne Vision. Sie gab der Erfahrung ein quasi-geometrisches Gerüst, sicherte eine gewisse Vertrautheit, Rationalität und Lebbarkeit. Parmenides dachte das Sein als endliche Kugel.[ 19 ] Zwar war der Gedanke der Unendlichkeit der Antike nicht so fremd, wie viele glauben, aber er wurde nicht weiterentwickelt zum Motiv der unendlichen Kugel. Allerdings berichtet Cicero, der Philosoph Melissus habe die Welt als unendlich gedacht.[ 20 ] Der Kosmos als Kugel, die Welt als ein System von Schalen beschreibt Cicero in De re publica: Neun Kreise oder vielmehr ineinander versetzte Kugeln verbinden alle Dinge miteinander; der höchste Gott wahrt sie in sich wie in einer umfassendsten Kugel.[ 21 ] Origenes nahm acht Planetensphären an und eine Fixsternsphäre; er erwog, ob es darüber eine äußerste, eine sternlose Sphäre gebe, wozu Ptolemaios anregte und woraus die mittelalterlichen Kosmologen das primum mobile entwickelten.[ 22 ]
    Die zweite These der vierundzwanzig Denker zerstört die abrundende Vorstellung einer geschlossenen Universalkugel. Ihr Umfang verschiebt sich ins Unendliche. Sie hört auf, vorstellbar zu sein. Noch drohen hier nicht die Schrecken unendlicher Räume, in denen der Mensch sich verliert. Die unendliche Kugel ist die Gottheit selbst; sie bietet unendliche Logismöglichkeiten. Nimmt man Satz XVIII hinzu, erzeugt der Spruch II eine chaotische Bildauflösung; sie gibt jedem Punkt eine eigene Umfanglinie, die im Unendlichen liege.
    Man kann versuchen zu rekonstruieren, welche Funktion ein solcher philosophischer Bildersturm seit dem 12. Jahrhundert im lateinischen Westen haben konnte: Seit dem 11. Jahrhundert hatten institutionelle wie philosophisch-theologische Tendenzen sich verstärkt, das Unendliche denkend und handelnd zu vermeiden und sich ans Endliche zu halten, dieses zu beschreiben und nach Gattung und Art, nach Substanz und Akzidens einzuteilen. Nur so ließ es sich kirchenpolitisch und kirchenrechtlich beherrschen. Die zweite These schuf hierzu ein markantes Gegengewicht. Ein aufmerksamer Leser wie Nikolaus von Kues verband mit ihr die Einsicht: In der reinen Unendlichkeit kann es nicht Vater, Sohn und Heiligen Geist geben, sondern nur die unbestimmbare Gottheit, die allein durch Nichtwissen gewusst wird.[ 23 ] Cusanus hat die These auch auf das Universum angewandt; dies war der Anfang vom Ende der Aristotelischen Welt, die zwar nicht klein, aber allemal endlich war. Gott als Alleinheit, außerhalb dessen es nichts gibt, und die Unendlichkeit des Kosmos, das waren Hauptpunkte im Prozess gegen Giordano Bruno. Er ist nicht verbrannt worden für Ideen des 12. Jahrhunderts. Er wurde verbrannt, weil er Thesen vortrug, die er ohne das Buch der vierundzwanzig Philosophen und ohne dessen Anwendung auf das Universum durch Nikolaus von Kues so markant nicht hätte entwickeln können.
    Würde man den zweiten unserer vierundzwanzig Philosophen fragen, welche Stellung er für den Menschen in der infiniten Sphäre vorsehe, so könnte er antworten: Er

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