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Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)

Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)

Titel: Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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unbestimmte Weise imitiert, in der ein antiker Philosoph die Trinität ausgedrückt haben könnte. War er vielleicht unglücklich mit den herkömmlichen dogmatischen Ausdrücken ‹drei› und ‹Personen›? Augustinus hatte zugegeben, er wisse nicht, was in diesem Zusammenhang das Wort ‹Person› bedeute. Und was heißt innerhalb der Gottheit das Zahlwort ‹drei›? Wie passen Zahlbestimmungen zur göttlichen Einheit? Nikolaus von Kues behauptet, er habe bei Augustinus den Satz gefunden: «Wenn du anfängst zu zählen, redest du nicht von Gott.»[ 14 ] Dieses Zitat findet niemand bei Augustinus, aber das Problem besteht. Unser unbekannter Verfasser geht es an; er fasst die Dreiheit als Ergebnis menschlichen Auffassens: Wir denken Gott, den Multiplizierenden, als Einheit; als das Multiplizierte nennen wir ihn Zweiheit. Der Autor vermeidet, von «drei Personen» zu reden. Hat Boethius nicht erklärt, ‹Person› bedeute eine ‹Substanz vernünftiger Natur›? Sind etwa in Gott drei Substanzen? Bedeutet substantia nicht Wesen? Dann wären in der Gottheit drei Wesen mit dreifachem Bewusstsein – wo bleibt ihre Einheit? Der Text setzt die trinitätstheologischen Ausdrücke so um, dass sie mit der negativen Theologie kompatibel werden, auf die das Buch insgesamt hinausläuft. Daher erwähnt er das biologische Verhältnis von ‹Vater› und ‹Sohn› überhaupt nicht und deutet das Erzeugen des Erzeugers als Zählen, bei dem man im Vielfachen die Einheit erkennt. So vorzugehen, hatte Johannes Eriugena für das einzig Vernünftige erklärt: Die Eins ist in der Zwei und in der Drei, aber die Monade wäre ein zusammengekehrter Haufen, nicht die höchste Einheit, wenn sie in drei Einzelwesen zerfiele.
    Auf diesen Text hat Zeno Kaluza aufmerksam gemacht, auch in der Absicht, gegen Hudry zu beweisen, dass der Liber nach dem 9. Jahrhundert entstanden sein müsse. Der Text Eriugenas gehört hierher aus drei Gründen: Er nennt die höchste Einheit monas .[ 15 ] Zweitens: In der höchsten Einheit sollen die verschiedenen Bestimmungen ( rationes ) gewahrt bleiben. Drittens: Die Zahlbestimmungen Zwei und Drei, aber auch alle anderen, sind als Modifikationen der Eins zu betrachten.
    Die trinitätsphilosophische Deutung von Spruch I liegt näher als die kosmologische. Die Philosophen wurden nicht nach dem Kosmos, sondern nach Gott gefragt. Die Folgethesen bringen ähnliche Dreierrhythmen der göttlichen Lebensbewegung (z.B. die Definitionen IV, VII, X und XII). Dies würde zu trinitäts philosophischen Interessen des 12. Jahrhundert passen, zu Anselm von Canterbury, Abaelard, Thierry von Chartres und Alanus von Lille. Thomas von Aquino ließ im Gegensatz zu ihnen keine Trinitäts philosophie zu. Ein solcher Anspruch der Vernunft verletze die Würde des Glaubens. Die natürliche Gotteserkenntnis müsse von der sichtbaren Welt ausgehen, die Gott aufgrund seiner einheitlichen Wesenheit geschaffen habe. Daher seien die einzelnen Personen in der Gottheit nicht philosophisch erkennbar. Darin sind Thomas spätere Kirchenversammlungen mit folgenreichen Verurteilungen solcher Versuche gefolgt.[ 16 ] Daher legte Thomas die erste Definition der vierundzwanzig Philosophen kosmologisch aus. Sie beziehe sich nicht auf die Zeugung des Sohnes und den Hervorgang des Heiligen Geistes, sondern auf die Hervorbringung der Welt, ad productionem mundi ( Sth I 32, 1 ad 1). Allerdings hatten Anselm von Canterbury und einige Theologen des 12. Jahrhunderts die Absicht, die Trinität philosophisch zu beweisen. Zu ihrer Tendenz würde passen, dass unser Text gleich mit der ersten Gottesdefinition den dreigliedrigen Rhythmus der Monade als Zeugung und Rückkehr ausspricht. Aber dann hat sein Autor die sakrosankten Formeln vom einen Gott in drei Personen konsequent vermieden. Das kostete Anstrengung. Das konnte nicht nebenbei und wie unbewusst geschehen. Dem Wissenden gab die Vermeidung der amtlichen Diktion zu denken.

    II. Gott ist die unendliche Kugel, deren Mittelpunkt überall und deren Umfang nirgends ist.
    DEVS EST SPHAERA INFINITA CVIVS CENTRVM EST VBIQUE, CIRCVMFERENTIA NVSQVAM.
    Diese Definition stellt den ersten Grund als Mittelpunkt vor. Der Kreis seines Erscheinens liegt oberhalb jedes Wo, außen. Deshalb ist sein Mittelpunkt überall, denn er hat keine gewöhnliche Ausdehnung. Wird er gefragt nach dem Umfang dieser Kugel, antwortet er, er liege hoch im Unendlichen, denn alles, was sie ist, ist so ausdehnungslos wie der Schöpfer von Anfang an.

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