Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)
nahegekommen? Auf Einzelheiten komme ich später, bei der Analyse der einzelnen Aussprüche. Hier nenne ich vorgreifend und an dieser Stelle hypothetisch drei Hauptpunkte, die dem Buch der 24 Philosophen über lange Jahrhunderte hin entnommen werden konnten und die ihm damals Aktualität gaben:
Erstens: Dieser literarischen Fiktion nach bezeugen vierundzwanzig heidnische Philosophen, dass sie ohne Offenbarung Gott als dreiförmig-einheitliche Lebensganzheit gedacht haben. Sie haben mit bloßer Vernunft, nicht aufgrund übernatürlichen Glaubens, die Drei-Einheit, diesen Hauptinhalt des christlichen Glaubens denkend erfasst. Das rechtfertigte jede weitere selbständig-philosophische Arbeit an Inhalten des christlichen Glaubens. Kein einziger dieser vierundzwanzig Denker erinnert daran, dass es höhere Erkenntnisquellen gibt als die philosophische Vernunft. Es hätte doch wenigstens einer von ihnen sagen können: Wir haben aber auch noch den Koran oder die Bibel. Kein Wort fällt in dieser Richtung. Unser Text bewegt sich in einer fiktiv geschlossenen philosophischen Kultur. Er erfindet deren Autonomie.
Zweitens: Das Buch der 24 Philosophen gibt ein philosophisches, nicht schon theologisches Lehrstück über Gottes Unendlichkeit. Es regt an, nachzudenken über Unendlichkeit überhaupt.[ 11 ] Man kann sie nicht als eines der vielen Prädikate Gottes behaupten und dann weiterreden, als sei nichts geschehen.
Gewiss war es keine Neuerung dieses Buches, Gott ‹unendlich› zu nennen. Der Gott des Thomas von Aquino ist als das in sich subsistierende Sein unendlich. Thomas ging noch weiter und behauptete, alle antiken Philosophen ( omnes antiqui philosophi ) hätten das erste Prinzip für unendlich gehalten ( Summa theologiae I 7, 1). Die Gleichsetzung von infinit mit ‹unvollkommen› hatte ihre Zeit, galt aber nicht immer. Thomas lehrte auch ausdrücklich, Gott sei überall anwesend ( Sth I 8). Doch zerstörte die zweite These der vierundzwanzig Denker mit dem besonderen Akzent auf die Unendlichkeit die Vorstellung, Gott habe die Welt aus sich heraus gesetzt.
Drittens: Antike Philosophen, vielleicht schon Platon mit seinem Parmenides, jedenfalls Plotin und Proklos, dann auch Dionysius Areopagita, hatten die negative Theologie entwickelt. Sie hatten bestritten, dass man Gott positive Prädikate beilegen könne. Aber es gab auch theologische Motive, die negative Theologie abzulehnen oder ihrem konsequenten Gebrauch zu widersprechen, sie also einzuschränken. Wer dieser Tendenz widersprechen wollte, konnte das Buch der vierundzwanzig Philosophen als Autorität anführen. Er konnte vom 13. bis zum 15. Jahrhundert den zeitgenössischen Theologen zeigen, wie weit die antiken Denker aus natürlicher Vernunft gekommen waren. Diese erfundenen Protagonisten reiner Vernunft haben mit der Unendlichkeit Gottes seine Unerkennbarkeit erkannt und wie allumfassend ihr Gott war. Der Verweis auf die Drei-Einheitslehre dieser Heiden riss die thomistische Grenzlinie ein zwischen Natur und Übernatur, zwischen Wissen und Glauben, zwischen Philosophie und Theologie.
II. Der Text. Übersetzt und erklärt
Das Buch der vierundzwanzig Philosophen
Prolog
Vierundzwanzig Philosophen waren einmal versammelt. Dabei blieb ihnen nur eine Frage offen: Was ist Gott?
Da beschlossen sie nach gemeinsamer Beratung, sich Bedenkzeit zu lassen und einen Termin festzusetzen, um noch einmal zusammenzukommen. Dann sollte jeder seine eigenen Erklärungen über Gott vorlegen, und zwar in Form einer Definition, um aus den verschiedenen Definitionen etwas Sicheres über Gott zu ermitteln und mit allgemeiner Zustimmung festzusetzen.
Prologus
Congregatis viginti quattuor philosophis, solum eis in quaestione remansit: quid est Deus? Qui communi consilio datis indutiis et tempore iterum conveniendi statuto, singuli de Deo proprias proponerent propositiones sub definitione, ut ex propriis definitionibus excerptum certum aliquid de Deo communi assensu statuerent.
Der Prolog dementiert die Alhambra-Phantasie, zu der ich mich im Vorwort augenblicksweise habe hinreißen lassen. Die vierundzwanzig Philosophen brauchten keinen Saladin; sie organisierten ihr Kolloquium demokratisch selbst. Die Frage, in welcher Stadt es 24 Philosophen gab, erübrigt sich; der Prolog ist Dichtung, nicht Protokoll. Immerhin hält er fest: Was Gott ist, das fragt man besser nicht die Theologen. Ich war auf die Vorstellung vom orientalischen Ursprung gekommen, weil es für einen westlichen
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