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Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)

Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)

Titel: Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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Verurteilung Meister Eckharts eingeschüchtert war, musste dieses Versäumnis erklären, fast entschuldigen. Berthold von Moosburg stützte sich zu diesem Zweck auf eine Unterscheidung, die Dietrich von Freiberg aus einer Bemerkung Augustins entwickelt hatte. Berthold sagte: Dieser Text spricht von der göttlichen Vorsehung nur sofern sie die Natur regiert, nicht von der Vorsehung, sofern sie übernatürlich die Geister lenkt. Er handelt vom ordo providentiae naturalis , nicht vom ordo providentiae proprie voluntariae .[ 27 ] Damit war die Zweistöckigkeit wieder eingeführt, die das Bild von der unendlichen Kugel weggewischt hatte. Dante kombinierte das ptolemäische Schalensystem mit der göttlichen Einheit, indem er den sog. Feuerhimmel, das caelum empyreum , noch 1241 eine Pariser Lehrentscheidung, als zehnte körperliche Weltschale definiert hatte,[ 28 ] als umfassendes, liebendes Geistleben deutete:
    «Reines Licht,
    intellektuelles Licht, erfüllt von Liebe,
    von Liebe zum wahren Gut, erfüllt von Freude,
    einer Freude, die allen Genuss übersteigt.»
    «Pura luce:
    luce intellettual, piena d’amore;
    amore di vero ben, pien di letizia;
    letizia che trascende ogne dolzore.» ( Paradiso 30, 39–42).
    Dante entmaterialisiert die Heimstätte Gottes und der Seligen; er nimmt sie heraus aus dem ptolemäischen Schalensystem, innerhalb dessen die Pariser Theologen sie verorten wollten.[ 29 ]

    III. Gott ist ganz in allem, was in ihm ist.
    DEVS EST TOTVS IN QVOLIBET SVI.
    Diese Definition erfolgt im Hinblick auf die Einfachheit des Wesens der Gottheit.
    Da es nichts gibt, das ihr Widerstand leistete, ist sie überall als Ganze gleichzeitig und ist sie oberhalb und außerhalb von jedem Wo. Sie wird nicht aufgeteilt, denn in nichts fehlt es ihr an innerer Kraft; sie wird auch nicht eingeschränkt durch die Herrschaft eines fremden Wesens.
    Haec definitio data est secundum considerationem essentiae divinitatis in sua simplicitate.
    Cum non sit aliquid ipsi resistens, ipsa simul ubique tota ens, et etiam similiter super et extra, ubique non distrahitur defectu virtutis alicuius in ipsa deficientis, nec stat terminata virtute alieni dominantis.

    Für einen sorgfältigen Leser darf nicht von vornherein feststehen, ob eine der vierundzwanzig Thesen aus der vorhergehenden ableitbar ist. Unsere kleine Schrift könnte divergierendes Material enthalten. Immerhin hat ein Kenner wie Clemens Baeumker gemeint, die Definitionen seien heterogener Herkunft und divergierender Denkrichtung. Wer die theoretische Einheitlichkeit des Textes behauptet, muss dies beweisen. Dies scheint aber bei der dritten Definition möglich; ihr Zusammenhang mit der zweiten Definition liegt offen: Spruch III folgt aus der Unendlichkeit und Einfachheit der Gottheit. Sie erfüllt alles gleichmäßig. Nichts ist ihr innen, nichts ist ihr außen. Wo wir sind, sind wir am Mittelpunkt. Daraus folgt: Sie teilt sich nicht auf. Sie verliert sich nicht. Sie mindert sich nicht, wenn sie in einer Region anwesend ist, die als niedrig gilt.
    In Gott besteht kein Gegensatz zwischen ihm und was zu ihm gehört, keine Dualität Ganzes-Teile. Gott ist das, was keine Teile hat und doch alles ist. Der Satz erweckt die Vorstellung von abgelegenen Raumteilen und sagt, dass sie für Deus nicht gilt. Er ist allgegenwärtig und von höchster Einfachheit. Daraus ergibt sich: Er ist unteilbar. Wer ihn hat, hat ihn ganz. Und alles, was ist, hat ihn.
    Daraus ließen sich verschiedene Konsequenzen gewinnen. Zunächst einmal: Die Vorstellung von Hierarchien, von höheren und niederen Stufen im Universum wird nicht angegriffen, aber sie verliert sich in der unendlichen Einheit. Diese ist, da unteilbar, auch auf der niedersten Stufe ganz da. Unser Text sagt nicht, Hierarchien seien nicht nötig. Aber er relativiert sie. Sie geraten gewissermaßen auf die Seite des Scheins. Die Urmonade wird uns nicht durch Höhergestellte vermittelt. Sie vermittelt sich selbst; sie ist die Vermittlung. Sie ist immer schon da, und zwar ganz da.
    Hier präzisiert sich die Rolle der negativen Theologie. Diese ist nicht zu verwechseln mit der Meinung, wir wüssten über die Gottheit nichts. Der Text sagt, dass wir vom Wesen der Gottheit etwas wissen, nämlich seine Einfachheit. Wir wissen, dass sie schlechthin einfach ist. Allerdings ist Einfachheit eine negative Bestimmung. Darauf beruht die dritte Definition; sie sagt nur, dass Deus unteilbar ist in jedem seiner Momente. Dies hat aber weitreichende,

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