Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)
Herrscher gefährlich gewesen wäre, bei der Frage, was Gott sei, die Theologen zu ignorieren. Noch 1486 hat die Römische Kurie den vergleichbar geplanten Philosophenkongress des Fürsten Giovanni Pico della Mirandola verboten. Hier handelt es sich um ein fiktives, rein literarisches Philosophenkonzil.
Die Philosophen wissen die Antwort nicht sofort; sie tragen nichts Erlerntes vor; sie gönnen sich Aufschub und Reflexionszeit für eine neue, eine persönliche Definition. Der Verfasser des Textes glaubt nicht, ein einzelner Denker werde die allumfassende und vor allem die gewisse Einheitsdefinition vorschlagen können. Diese soll später gefunden, diskutiert und verabschiedet werden. Das Ziel soll sein, etwas Gewisses über Gott sagen zu können. Unterstellt wird: Ungewisses hören wir genug. Aber von der Endabstimmung und Endgewissheit sagt unser Text nichts. Er belässt es bei den vierundzwanzig Voten. Der Leser muss selbst suchen.
Die vierundzwanzig Definitionen [ 12 ]
I. Gott ist die Monade, die eine Monade erzeugt und sie als einen einzigen Gluthauch auf sich zurückbeugt.
DEVS EST MONAS MONADEM GIGNENS, IN SE VNVM REFLECTENS ARDOREM.
Diese Definition erfolgt aufgrund einer Vorstellung (data est secundum imaginationem) vom ersten Grund, wonach er sich zahlenartig in sich selbst vermehrt, multipliziert. Aufgefasst als das, was sich vermehrt, ist er die Einheit. Als vermehrt (multipliziert) aufgefasst, heißt er Zweiheit. Als das, was zurückbezogen ist, als Dreiheit. So ist es nämlich bei den Zahlen: Jede Einheit erhält eine eigene Zahlbestimmung, sofern sie sich auf etwas bezieht, was sich von jedem anderen unterscheidet.
Haec definitio data est secundum imaginationem primae causae, prout se numerose multiplicat in se, ut sit multiplicans acceptus sub unitate, multiplicatus sub binario, reflexus sub ternario. Sic quidem est in numeris: unaquaeque unitas proprium habet numerum quia super diversum ab aliis reflectitur.
Gott ist das Eine, das eine Einheit erzeugt und diese auf sich zurückbezieht. Für das Eine gebraucht der im Mittelalter verbreitete Text, gewissermaßen seine ‹Normalform›, den griechischen Ausdruck monas .[ 13 ] Dieses Wort sagt nichts für die griechische Herkunft des Textes; der Ausdruck kommt im 9. Jahrhundert im lateinischen Westen vor, bei Johannes Scotus Eriugena, und steht auch bei Alanus am Anfang.
Der Spruch lässt sich nach zwei Richtungen auslegen. Sagt er: Gott ist der Eine, der eine einheitliche Welt, ein Universum, erzeugt und dieses auf sich zurückbewegt? Das hieße: Die Welt tritt aus der Ureinheit heraus, bewegte sich aber in glühender Liebe ( ardor ) in ihren Ursprung zurück. Dann bezöge der Satz sich auf das Heraustreten aus dem Einen und auf die Rückkehr des Kosmos zu ihm. Ardor habe ich mit ‹Gluthauch› übersetzt; es könnte auch heißen: der Glanz, zum Beispiel der Sterne. Dann wäre das reflectens wörtlich zu nehmen, und der Satz hieße in kosmologischer Deutung: Gott ist das Eine, das den Kosmos als Einheit erzeugt hat, so dass dieser im Glanz des Äthers auf ihn zurückstrahlt. Es macht den Reiz dieses Textes aus, dass er zwischen buchstäblicher und bildlicher Bedeutung schwebt. Er scheint zu changieren zwischen Liebesglut und Ätherglanz.
Aber von Welt, Sternen und irdischem Glanz ist nicht die Rede. Daher ist die zweite Auslegung vorzuziehen:
Es handelt sich um kryptische Trinitätsphilosophie: Gott, die Monade, deren Erzeugen im Zählen besteht, hat demnach eine weitere Monade, den Logos, gezeugt – das Wort ‹erzeugen› ( gignere) war in der Trinitätslehre üblich, aber nicht auf sie beschränkt – und bezieht sich durch ihn in einem einzigen Liebeshauch auf sich zurück.
Gottes Erzeugen ist ein Sichauszählen. Die dabei entstehende Vielheit und Verschiedenheit ist Sache des Auffassens: Ich kann die Zahl Eins in der Zahl Drei wiederfinden, denn auch Drei ist eine Einheit. Gott, das wäre dann die drei-einheitliche Bewegung der Logoserzeugung und der Selbstrückkehr.
Dann sagen Definition und Kommentar: Ein Philosoph, ein Heide, hat die Trinität philosophisch erkannt. Er hat nicht die dogmatisch sanktionierten Ausdrücke benutzt: Er redet weder von drei Personen noch von Vater, Sohn und Geist. Er vermeidet sogar die Vokabel ‹das Wort›, verbum oder logos , das aus der antiken Philosophie stammt und am Anfang des Johannesevangeliums steht. Dann hätte ein christlicher Autor etwa der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die
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