Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)
Einsicht vollendet das Eingesehene, und das Eingesehene ist die Wesensgestalt des Einsehenden.
Immobilis dicitur Deus quia est secundum unam dispositionem semper, et hoc est esse in quiete.
Movens semper est, quia vivens in se, tamen sine alteratione. Intelligit se intellectu simplici, et hoc est quod intellectus perficit intellectum, et intellectum est forma intelligentis.
Der Spruch holt aus der aristotelischen Bestimmung Gottes als des unbewegten Bewegers oder des unveränderlichen Veränderers in Physik VIII 6 und Metaphysik XII die Paradoxie heraus: Er bewegt immer und ist durch Immer-Bewegen in Ruhe. Ruhe und Bewegung fallen zusammen. Das ‹immer› ( semper ) hebt die Zeitbedingungen auf, unter denen wir Ruhe und Bewegung unterscheiden können. So verstehen wir: Gott ist das Leben. Auch die Identifikation von Geist und Leben ist Lehre des Aristoteles, Metaphysik XII 7. Der Liber de causis hat dies weiterentwickelt.[ 46 ]
Gottes Ruhe und sein bewegtes Leben sind die des Intellekts, dessen Gegenstand seine Form, also mit ihm identisch ist. Da ist kein zeitlicher Prozess, kein Zugewinn an Vollkommenheit. Das ist die aristotelische Einheit von Auge und Holz, von Intellekt und Intelligibile. Gott erkennt sich im einfachen Blick auf sich, wovon wir keinen Begriff haben, wie in XVI und XVII gezeigt.
XX. Gott ist das einzige Wesen, das von seiner Selbsterkenntnis lebt.
DEVS EST QVI SOLVS SVO INTELLECTV VIVIT.
Er lebt nicht, wie Körper leben, die fremde Wesen in sich aufnehmen, um sie in ihre eigene Natur zu verwandeln.
Er lebt nicht wie überhimmlische Körper, die ihre Bewegung von Geistwesen erhalten. Er lebt auch nicht wie die Intelligenzen, Seelenwesen, die direkt von seiner Einheit leben.
Sondern aus sich selbst und in sich selbst lebt er, indem er sich geistig erkennt und auf überseiende Weise ist.
Non vivit sicut corpora quae recipiunt aliena intra se ut convertant ea in sui naturam.
Non vivit ut corpora supracaelestia quae a spiritibus habent motum, nec vivit ut intelligentiae, animae quae ab ipsius unitate sustentatur.
Sed a seipso et in se intelligendo vivit et est superessentialiter.
Das ist ein Traktat über die Lebendigkeit Gottes. Der Autor sichtet die kosmologischen Stufen des Lebendigen und schreitet durch eine Folge von Negationen aufwärts: Lebende irdische Wesen ernähren sich von etwas außer ihnen und verwandeln es in ihre eigene Natur; die Himmelskörper (Himmelsschalen) leben von den Geistern, die sie bewegen; die Intelligenzen, also die Geistseelen, welche die Sterne beseelen und bewegen, erhält die göttliche Einheit im Leben. Alle leben von anderen, je auf verschiedene Weise: Nur die unendliche Einheit lebt, indem sie sich selbst erkennt, sie lebt auf überwesentliche Weise.
Um die Stufen auseinanderzuhalten:
1. Körperdinge
2. Himmelskörper
3. ‹Geister› ( spiritus ). Sie bewegen die Himmelskörper
4. Intelligenzen, welche die Sternensphären erzeugen, die durch Gottes Einheit subsistieren
5. Deus
Die Reihenfolge sieht dem Universum des Avicenna ähnlich. Die Überlegung endet gut aristotelisch nach dem zwölften Buch der Metaphysik, Kapitel 7: Der Gott ist der Geist, der sich selbst erfasst und darin ein Leben der Freude und der Seligkeit lebt. Wir ernähren uns von Dingen, die nicht wir selbst sind. Das reine Denken findet seine Nahrung in sich selbst. Es ist selig in sich selbst. Die charakteristische Wendung taucht erneut auf: Die unendliche Einheit ist, jenseits des Seins, est superessentialiter , wie nach Spruch III ist sie oberhalb und außerhalb, super et extra (h S. 9, Z. 5; hier S. 35). ‹Sein› im gewöhnlichen Sinn bedeutet nach These X Begrenztsein, clausionen (h S. 16, Z. 11; hier S. 50).
XXI. Gott ist die Finsternis in der Seele, die zurückbleibt nach allem Licht.
DEVS EST TENEBRA IN ANIMA POST OMNEM LVCEM RELICTA.
Die Erkenntnisbilder der Dinge in der Seele decken auf, was in ihr ist. Deswegen heißt es von ihr, sie sei gewissermaßen alle Dinge. Sie bringen der Seele Licht. Aber nachdem sie alle diese Gestalten abgeworfen hat, schaut sie die Gottheit. Sie verneint alle Erkenntnisbilder der Dinge und hält sie fern und wendet sich dadurch dem zu, was über ihr ist und will den ersten Grund sehen.
Doch dabei verfinstert sich der Intellekt der Seele, denn für jenes ungeschaffene Licht ist er nicht geeignet. Wendet er sich wieder auf sich zurück, sagt er: Hier stehe ich in Finsternis.
Species rerum apud animam, quae detegunt quod in ipsa
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