Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)
heißt es: Gott ist der Gegensatz zum Nichts durch Vermittlung des Seins. Gott steht über dem Gegensatz von Ja und Nein, von Sein und Nichtsein, das er in seinem Zentrum ‹eingekerkert› erhält.
Gott, hieß es in Spruch XI, stehe jenseits des Seins. Er bringe zählend Sein hervor, das als bestimmtes Wesen immer auch Grenzen hat, also anderes nicht ist. Sein als endlich ist eine Art Mischung aus Übersein und Nichts.
Der Kommentar malt das Bild der unendlichen Sphäre näher aus und transponiert dabei das christliche Konzept der Erschaffung: Die unendliche Kugel hat das Nichts in ihrem Zentrum eingekerkert, ruft das bloß Mögliche in den Status des Realisierten herauf und stabilisiert es für immer. Würde es als bloß möglich belassen, sänke es zurück ins Nichts.
Die Vorstellung, das Nichts sei eingekerkert im Zentrum der göttlichen Kugel, ist poetisch wunderbar, scholastisch unmöglich. Sie erinnert an das Reich der Mütter, der möglichen Dinge, die, um aktuiert zu werden, heraufgerufen werden müssen, um Wirklichkeit zu werden, sonst blieben sie für immer beim Nichts.
Die vierzehnte Definition sagt: Gott ist das, was dem Nichts gegenübersteht. Er ist das, was einzig das Nichts als Gegensatz hat, weil es alles Wirkliche umfasst. Wenn wir uns drei Elemente vorstellen, aus denen das Weltganze sich aufbaut, dann steht zwischen den Polen des Überseins und dem Nichts das Sein, das immer beschränkt ist.
Der Text appelliert an die Vorstellung, an die imaginatio , und muss folglich denkend korrigiert werden. Er fordert auf, das Nichts vorzustellen als eingekerkert im Mittelpunkt der unendlichen Kugel. Die ständige seinsgebende Tätigkeit der unendlichen Kugel hält es dort ewig gefangen; sie ruft aber in ihrer Güte Seiendes aus ihr hervor. Was ist, besteht dann außerhalb des Zentrums, aber innerhalb der Kugel. Freilich: Das Zentrum ist überall; insofern hebt sich das Bild wieder auf. Was wir denkend festhalten: In allem Wirklichen ist Sein und Nichts verbunden; das Überseiende vermittelt in seiner Güte das Sein mit dem Nichts, d.h. es schafft begrenzte Seiende, denen das Nichtsein anhaftet, substat nihil substantiae ut alienum . Dieser Satz aus dem Kommentar zu Satz VI spielt mit dem Wort sub-stantia . Die Substanz ist das, was unter dem Wandel der Eigenschaften steht. Aber unter ihr steht das Nichts. Wie das Nichts im Zentrum der Gottsphäre subsistiert, ist schwer zu denken.[ 43 ]
Wiederum zeigt der Text die einheitliche Konstruktion des kleinen Werks, indem er die Thesen II, VI und XIV argumentativ und metaphorisch verbindet. Von Gemengelage alter Materialien kann nicht die Rede sein.
XV. Gott ist das Leben, dessen Weg zur Gestalt die Wahrheit und dessen Weg zur Einheit das Gutsein ist.
DEVS EST VITA CVIVS VIA IN FORMAM EST VERITAS, IN VNITATEM BONITAS.
Es gibt Bewegung von der Mitte weg und Bewegung zur Mitte hin. Die erste gibt das Sein, die zweite das Leben. In Gott ist die erste Bewegung der Weg des Erzeugenden zum Erzeugten mit dem Sein, die zweite, also der umgekehrte Weg, ist die Gutheit.
Est motus a medio et ad medium: primus dat esse, secundus dat vivere. In Deo primus motus est via generantis ad genitum cum esse; secundus, ut via conversa, est bonitas.
Der Geist ist Leben, sagte Aristoteles im XII. Buch der Metaphysik . Gott ist Leben, sagt Definition XV und erklärt dies: Das unendliche Leben ist ein Weg hin und zurück.
In Gott, der raumlosen Kugel, sollen wir zwei Bewegungen denken: Die erste kommt von der Mitte und ist der Weg der Gottheit vom eingekerkerten Nichts zur Gestalt, zur geeinten Formenfülle, zur Gesamtheit aller Strukturen und aller Erkennbarkeit, insofern die Wahrheit. Es ist der Weg vom Erzeugenden zum Erzeugten, in dessen Ideenfülle alle Wahrheit leuchtet. Die zweite Bewegung geht zur Mitte. Das ist der Weg zurück, zum immanenten Wert. Sie ist Angezogensein vom Guten, Dynamik, insofern Leben.
Leben ist ein Hauptmotiv unserer Schrift. Leben wird näher erklärt – jetzt nicht als der Weg der Dinge aus dem Kerker zum Dasein, sondern als die Einheit zweier interner gegenläufiger Bewegungen.
Der Text ist schwierig, zeigt aber Zusammenhang mit den Thesen XIII und XIV: Gott ist ewige Tätigkeit; er verwirklicht das Mögliche, er lebt, als prägende Formkraft oder Wahrheit; er zieht alles in seine Einheit kraft des Gutseins.[ 44 ]
Leben heißt Gestaltwerden, eine forma gewinnen. Unsere irdischen Gestalten sind teil-wahre, weil unvollkommene Realisationen.
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