Was Liebe ist
an. Durch das geöffnete Fenster dringt im Austausch gegen den Zigarettenrauch kühle Luft herein.
»Du willst zurück?«
Er angelt sein T-Shirt vom Boden.
»Ich muss.«
»Wenn ich dich richtig verstanden habe, bist du beruflich dein eigener Herr. Die Firma gehört dir.«
»Ein Teil davon. Ich kann nicht kommen und gehen, wann ich will. Morgen findet eine Besprechung mit unseren Geschäftsbanken statt.«
»Dann flieg morgen.«
»Wir müssen die Verhandlungen vorbereiten. Die Banken stören sich daran, dass wir unser Kapital erhöhen und gleichzeitig in einen aus ihrer Sicht überflüssigen Entschädigungsfonds für Naziopfer einzahlen wollen.«
»Die Banken!«, sagt sie verächtlich.
»Im Übrigen gehen mir allmählich die Socken aus.«
Sie lächelt nur schwach über den Scherz.
»Und ich? Was mache ich jetzt?«
»Komm mit mir.«
»Wohin?«
»Nach Frankfurt.«
»Und dann?«
»Ich lebe allein, meine Wohnung ist groß. Du kannst bleiben, solange du willst.«
»Tagsüber auf dich warten, damit du mich abends fickst?«
Die Härte des Ausdrucks erstaunt ihn. Hat er sie gerade gefickt? Er hat geglaubt, es wäre mehr – was auch immer.
»Überleg’s dir.«
Er betrachtet sie, wie sie im T-Shirt am Fenster steht. Ihr Po ist nur zur Hälfte bedeckt, ihre Schamhaare verdunkeln die Haut über der sanften Wölbung der hellen Schenkel. Er würde sie ficken, jederzeit, aber süchtig ist er nach diesem anderen, das er nicht benennen kann.
Sie bläst Rauch aus. »Wann geht dein Flug?«
Er sieht auf die Uhr, es ist kurz vor neun. Er muss seine Topamax nehmen. Er ist eine halbe Stunde zu spät dran.
»Um halb zwölf.«
Sie schweigt und raucht.
Dann sagt sie: »Ich will nicht, dass du gehst.«
»Warum nicht?«
»Reicht es dir nicht, dass es so ist?«
Er sagt noch einmal: »Komm mit mir.«
Sie schaut in ihre Handfläche.
»Ist nicht vorgesehen.«
»Dann bleib hier. Hier in Amsterdam, im Hotel. Ich komme nach den Verhandlungen mit den Banken wieder. Gleich morgen Abend.«
Sie drückt die Zigarette aus und bläst den letzten Rauch in die Amsterdamer Herbstluft. »Du willst zurückkommen?«
»Ich zahle das Zimmer, solange du willst.«
Es ist weiß und diesig draußen, vielleicht sogar neblig. Die Ulmen haben kaum noch Laub, in ihren kahlen Ästen verfängt sich der graue Dunst. Holland im Herbst. Von irgendwoher tönt das Nebelhorn eines Grachtendampfers.
»Na gut«, sagt Zoe. »Werde ich eben zur Begine.«
»Begine?«
»Du weißt nicht, was Beginen sind?«
»Keine Ahnung.«
»Es gibt hier in der Nähe den Begijnhof – einen schönen kleinen Park, umgeben von ungefähr fünfzig historischen Häusern. In denen haben jahrhundertelang Beginen gelebt – Frauen, die keinem Orden angehörten, sich aber trotzdem für ein Leben ohne Mann entschieden haben.«
»Geht das denn?«, versucht er es wieder mit einem Scherz.
»Offenbar hat es immer schon Frauen gegeben, die Männer für verzichtbar hielten.« Sie taucht ihren Blick in den Nebel und fügt nach einer Weile hinzu: »Wenn mir mein Leben hier zu chaotisch wurde, bin ich zum Begijnhof gegangen und habe darüber nachgedacht, was ich ändern könnte.«
Er geht zu ihr und umarmt sie: »Ändere nichts. Bleib hier und warte auf mich.«
Sie löst sich von ihm, nimmt noch eine Zigarette aus der Schachtel und zündet sie an. Der Rauch, den sie hinausbläst, wird im Nebel unsichtbar. Sie sollte nicht rauchen, denkt er, das könnte sie ändern. Doch dann schiebt er den Gedanken beiseite. Er will nicht denken wie Piet.Auf der Hoteltoilette im Erdgeschoss nimmt er mit einer Stunde Verspätung seine Topamax. Es ist die vorletzte. Darüber, dass ihm das Medikament ausgehen könnte, braucht er sich jetzt keine Gedanken mehr zu machen. In drei Stunden wird er in Frankfurt sein, dann hat sich das Problem erledigt. Er geht an der Rezeption vorbei auf die Straße. Zwischen zwei Uferulmen wartet das bestellte Taxi.
Zoe ist im Hotel geblieben. Der Abschied an der Zimmertür war kurz, fast spröde. Offenbar trauen sie ihren Gefühlen noch nicht und sind sich über ihre Erwartungen noch nicht im Klaren. Was sind sie? Freunde? Ein Liebespaar? Oder ist ihre Beziehung belangloser. Eine kurze Affäre? Eine erotische Episode? Ein Some-Night-Stand ?
Das Taxi fährt am Live-Porno-Show-Club vorbei. Das dunkelbraune Rolltor ist, wie üblich um diese Zeit, geschlossen. Die andere Seite der Gracht mit den Koberfenstern ist durch den dichten Nebel nicht zu sehen. Die Fenster
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