Was Liebe ist
fallen. Sie trägt keine Strümpfe, selbst im Herbst nicht, sie mag sie nicht.
Links von ihr, neben dem Fenster, hängt der verblasste Rückenakt von van Gogh. Der bloße Rücken einer Frau ist ein Versprechen. Was verspricht ihm Zoe? Die waagerechte Grenzlinie zwischen dem Bund ihrer verwaschenen grauen Jeans und der Haut ihrer Taille: Dort möchte er seine Hände hinlegen.
Er sollte in Frankfurt sein.
Sie dreht sich um, präsentiert ihm den BH.
»Gefällt er dir?«
»Zieh ihn aus.«
»Wir haben ihn gerade erst gekauft.«
»Trotzdem.«
Sie lässt ein paar Sekunden verstreichen, bewegt ihre Hände dann auf den Rücken und hakt den BH auf. Die schwarzen Träger lockern sich, gleiten über ihre Schultern. Nach einer hübschen dramatischen Pause lässt sie die Körbchen herunterrutschen. Er betrachtet Zoe, bewundert sie. Hinter ihr marmorieren die Zweige der Ulmen die Dämmerung.
»Dafür, dass ich ihn nicht tragen soll, hast du viel Geld dafür bezahlt.«
»Ist wohl so …«
»Jetzt du.«
»Nein, mach weiter.«
»Was wird das?«
»Bitte.«
Sie haben sich längst nackt gesehen. Aber dass er sie bittet, sich vor ihm auszuziehen, ist ein neuer Aspekt. Vielleicht eine unerwartete Erweiterung ihrer Intimität, vielleicht eine Veränderung ihrer Rollen. Sie sieht ihn nachdenklich an. Hat seine Bitte hier, mitten im Rotlichtbezirk, einen unangenehmen Beigeschmack? Oder einen besonderen Reiz? Er weiß es nicht.
Sie hebt die Augenbrauen, ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Sie lässt den BH zu Boden fallen und öffnet den Knopf über dem Reißverschluss ihrer Jeans. Auch den Slip hat er an ihr noch nicht gesehen. Nach ihrem Einkauf ist sie mit den diversen Tüten in einer Anprobekabine verschwundenund hat sich umgezogen. Er hat davor gewartet. Er findet, nur Ehemänner stecken ihre Köpfe in solche Kabinen.
Ihre Körperhaltung ist nicht aufreizend, sondern gerade und selbstbewusst. Der neue Slip, so frontal, sieht ein wenig aus wie ein dunkler Vogel mit ausgebreiteten, sehr schlanken Schwingen. Als Gemälde oder Fotografie wäre Zoe ein geheimnisvoller Akt. Man würde als Betrachter nicht recht wissen, wem sie ihre Nacktheit darbietet – ob überhaupt jemandem. Man könnte auch denken, sie stehe vor einem Spiegel und betrachte sich selbst.
»Und jetzt den Slip«, sagt er.
Er glaubt doch, dass es für sie einen Reiz hat. Den eines Spiels, das man als Paar nicht beliebig lange spielen kann. Aber jetzt können sie es noch. Sie schiebt die Stege ihres Slips von ihren Hüften. Ihre Schambehaarung ist so dunkel wie das zentrale Stoffdreieck des Slips, nur zarter, durchschimmernder. Sie lässt sich betrachten, streicht sich durch die Haare. Er findet sie perfekt. Sie kommt zum Bett und legt sich neben ihn.
»Macht dich das an?«
»Dich anzusehen?«
»Was macht dich sonst noch an?«
»Du.«
»Sei ehrlich. Es interessiert mich.«
»Worüber willst du denn sprechen?«
Sie beginnt, seine Hemdknöpfe zu öffnen.
»Über Sex.« Sie streift ihm das Hemd von den Schultern, die Luft im Zimmer ist kühl auf seiner Haut. Die Heizung ist abgestellt, er hat morgens nicht daran gedacht, sie aufzudrehen.Er dachte, er würde heute Nachmittag in Frankfurt sein.
»Entschuldige, eigentlich ist es zu kühl für einen Strip.«
»Ich strippe überall für dich.«
Hinter ihr färben die Rotlichtreklamen den Nebel.
»Sagen wir, fast überall. Das genügt mir.«
Er geht zur Heizung und dreht den Thermostat auf.
»Du magst das Sexviertel nicht besonders, nicht wahr?«
»Warum sollte ich?«
Sie nimmt sich eine Zigarette. »Welche sexuellen Erfahrungen bietet dir das normale Leben?«
»Diese hier«, sagt er. »Ein Bed-in.«
Ihr Gesicht leuchtet im Schein des Feuerzeugs auf.
»Warum möchtest du ausgerechnet mit mir schlafen?«
»Weil ich nicht von dir lassen kann.«
»Und wenn mir das zu viel ist? Zu ausschließlich? Vielleicht will ich dich lieber teilen.«
»Niemand will teilen. Egal was.«
»Du willst mich ganz? Nur für dich?«
»Ich will dich jetzt ganz. Über mehr denke ich nicht nach.«
Sie setzt sich im Schneidersitz mit aufrechtem Rücken neben ihn, die Zigarette in der Rechten, den Aschenbecher auf dem Kreuzungspunkt ihrer Beine.
»Ich war keine Begine, als ich hier gelebt habe.«
»Wozu auch?«, sagt er.
Wie kann er ihr das vermitteln: Er fühlt sich wohl. Er will nicht alles von ihr wissen. Von der Straße dringt ein pochender Rhythmus herauf, vielleicht von einem Wagen, der mit dröhnenden
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