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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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werden können. Für eine vollständige Symmetrie beim Dolmetschen nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse – das heißt, jede Übersetzungsrichtung wird von einem eigens dafür vorgesehenen Dolmetscher abgedeckt – würde man ein Team von 552 Dolmetschern benötigen, weit größer als die durchschnittliche Zahl der Abgeordneten, die an Sitzungen des Parlaments teilnehmen. Dass das undurchführbar ist, liegt auf der Hand. Bei der EU verfährt man wie folgt:
    Wenn alle Sitzungsteilnehmer mindestens eine der Hauptsprachen der EU (Englisch, Französisch, Deutsch oder Italienisch) verstehen – und das ist ja fast immer der Fall –, wird nach einem asymmetrischen Sprachenregime gedolmetscht. »Asymmetrisch« heißt hier, dass die Konferenzteilnehmer ihre Wortbeiträge zwar in jeder gewünschten Hauptsprache (die sie allerdings dem Sprachendienst vorher mitteilen müssen) halten, die Wortbeiträge anderer Teilnehmer aber nur in einer der drei Arbeitssprachen hören können. Eine solche Konferenz hat ein Regime 23:4. Würde jede Übersetzungsrichtung von einem eigens dafür zuständigen Dolmetscher abgedeckt, benötigte man bis zu 80 Dolmetscher pro Sitzung, was immer noch viel zu viel ist.
    Die Zahl wird weiter gesenkt durch den Einsatz von Dolmetschern, die zwei »A«-Sprachen haben und in beide übersetzen – dieses Verfahren heißt Cheval (französisch für »Pferd«, weil der Dolmetscher sozusagen »rittlings« sitzt) –, zusätzlich aber, und das ist entscheidend, auch Retour , also in ihre »B«-Sprache übersetzen. Die Wirtschaftlichkeit des Relais übersetzens tut ein Übriges. Spricht beispielsweise der litauische Delegierte, übersetzt ein Dolmetscher, der Litauisch als »B«-Sprache hat, simultan ins Deutsche, und diese Übersetzung wiederum nutzen der Deutsch-Englisch-, der Deutsch-Französisch- und der Deutsch-Italienisch-Dolmetscher für ihre Übersetzungen in die anderen Arbeitssprachen (weitere Sprachversionen werden bei einem 23:4-Regime nicht benötigt). Im geschilderten Beispiel ist Deutsch die Leitsprache (englisch als Hub , französisch als Pivot für »Dreh- und Angelpunkt« bezeichnet), von der die anderen Übersetzungen abgenommen werden; für andere Sprachen bei derselben gedachten Sitzung kann die Leitsprache auch Englisch, Französisch oder Italienisch sein, wodurch die Anzahl der Dolmetscher, die für eine unter dem Regime 23:4 stattfindende Versammlung benötigt wird, maximal 27 beträgt. Sie lässt sich noch weiter reduzieren, wenn (beispielsweise) der vom Portugiesischen ins Französische übersetzende Kollege auch ins Spanische dolmetscht (sofern Französisch Leitsprache ist) oder wenn der vom Schwedischen ins Deutsche übersetzende Kollege auch Dänisch übernimmt (bei Deutsch als Pivot). Da alle bei der EU tätigen Dolmetscher zwei »B«-Sprachen beherrschen müssen, sorgt die Anwendung asymmetrischer Regimes in Kombination mit Cheval -, Retour - und Relais verfahren dafür, dass die Kosten für das Simultandolmetschen in Brüssel und Luxemburg sowie beim Europäischen Parlament in Straßburg einigermaßen im Rahmen bleiben. 7
    Bei der UNO werden die Dolmetscher von ihren Nutzern oft gar nicht gesehen. Sie sitzen im rückwärtigen Teil des Sitzungssaals hinter schalldichten und getönten Glasscheiben. Man kann ein Dutzend Generalversammlungen besuchen, ohne sie überhaupt zu bemerken – es ist nur natürlich, das für selbstverständlich zu halten. Tückischer als der Ausschluss der Dolmetscher aber ist der Eindruck, dass alles, was jemand spricht, simultan in allen anderen Sprachen zu hören ist. Beim Konferenzdolmetschen, so glanzvoll es sein mag, verschwinden die eigentlichen Probleme – und der eigentliche Vorteil – des Sprachentransfers unter den eleganten, fast zirkusartigen Kunststückchen des sprachlichen Gewerbes. Es verleitet zu der Annahme, wir würden über kurz oder lang alle ein Gerät haben wie den »Babelfisch« aus Per Anhalter durch die Galaxis . Den brauchen wir uns bloß ins Ohr zu stecken und schon können wir mit allen Völkern der Erde kommunizieren.
    Anders als die meisten schreibenden Übersetzer und ein großer Teil der Konsekutivdolmetscher sind Konferenzdolmetscher nur selten auf ein bestimmtes Fachgebiet spezialisiert und kommen dem am nächsten, was man als reine Sprachprofis bezeichnen könnte. Institutionen, die ständig Dolmetscher benötigen, sind aber nur in Ausnahmefällen so groß, dass deren Festanstellung gerechtfertigt wäre: Nur 67

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