Was macht der Fisch in meinem Ohr
Roman gelesen zu haben. Als die Lektüre französischer Romane ein wichtiges Merkmal eigener Kultiviertheit war, konnte das ein sehr befriedigendes Gefühl sein.
Selektive oder »dekorative« Fremdartigkeit findet man nur in Übersetzungen zwischen Sprachen, zwischen denen bereits eine Beziehung besteht. Jahrhundertelang war Französisch in der englischsprachigen Welt eine Voraussetzung für höhere Bildung, und französische Ausdrücke gehörten daher selbstverständlich zum allgemeinen Sprachschatz gebildeter Engländer. Die Brocken der anderen Sprache besagten einfach: »Das ist Französisch!«, und damit angenehmerweise auch: »Ich kann ein bisschen Französisch!« Es tat der Selbstachtung des Lesers kaum Abbruch, wenn er die genaue Bedeutung von Wendungen wie parbleu oder ma foi nicht mehr wusste. War die Beherrschung des Französischen das Kennzeichen der gebildeten Klassen, bestand der Sinn der Lektüre eines französischen Romans in Übersetzung für diejenigen, deren Bildung nicht so umfassend war, zum Teil auch darin, sich die kulturellen Güter anzueignen, die die Elite bereits besaß. Je mehr Französisch in der Übersetzung des Werks erhalten blieb, desto besser diente er den Bedürfnissen und Wünschen des Lesers.
Mit Russisch oder Deutsch kann man so etwas nicht mehr machen. Diese Sprachen werden heute nur kleinen Gruppen von Schülern gelehrt. Eine von beiden oder sogar beide zu kennen ist für die kulturellen Hierarchien in der englischsprachigen Welt ohne Belang – es bedeutet lediglich, dass der Betreffende Linguist ist oder vielleicht Astronaut oder Automobilingenieur.
Wie ließe sich »Russisches« oder »Deutsches« in einem auf Englisch geschriebenen Buch darstellen? Konventionelle Lösungen dieses Rätsels sind nicht mehr als das – kulturelle Konventionen eben, in englischen Sprachräumen entstanden durch historischen Kontakt, Einwanderungsbewegungen und populäre Unterhaltung, durch Filme wie Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben . Wollten wir uns allerdings an d’Alemberts Empfehlung halten, würden wir uns bemühen, Kafka und Dostojewski wie die Nicht-Engländer klingen zu lassen, die sie zweifellos waren … und ein Englisch schreiben, »dekoriert« mit fremdartigen Zügen.
Auf Deutsch und Russisch klingen Kafka und Dostojewski, so einzigartig ihr Duktus auch sein mag, für muttersprachliche Leser dieser Sprachen natürlich nicht fremd. Das Fremde in einer Übersetzung ist zwangsläufig eine Beigabe zum Original. In Chaplins Kauderwelsch wie in den englischen Neuübersetzungen der literarischen Klassiker ist das Fremde zwangsläufig ein Konstrukt innerhalb der Empfängersprache. Eine Übersetzung, die dem Leser durch »fremden Klang« einen Eindruck von der authentischen Beschaffenheit der Quelle vermitteln möchte, kann folglich nur das reproduzieren und verstärken, was die Empfängerkultur bereits als Fremdes ansieht.
Friedrich Schleiermacher, der berühmte Philosoph und Plato-Übersetzer, widmete sich diesem grundsätzlichen Paradox in seiner vielzitierten Abhandlung Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersezens . Gemeinhin glaubt man, Schleiermacher habe sich von gut lesbaren, nicht als solche kenntlichen oder an die Standardsprache angelehnten Übersetzungen distanzieren wollen, als er schrieb: »Das Ziel, so zu übersezen wie der Verfasser in der Sprache der Uebersezung selbst würde ursprünglich geschrieben haben, ist nicht nur unerreichbar, sondern es ist auch in sich nichtig und leer.« 7 Seine berühmte Bemerkung kann aber auch andersherum verstanden werden: Kafka klingen zu lassen wie einen »Bühnendeutschen«, der Englisch schreibt, wäre genauso künstlich, als hätte sich Gregor Samsa in einem Hotelzimmer unweit von Heathrow in ein Ungeziefer verwandelt.
Warum wollen oder verlangen wir eigentlich, dass Kafka für uns auf Englisch deutsch klingt? Auf Deutsch klingt Kafka ja auch nicht »deutsch« – er klingt wie Kafka. Für das Ohr eines englischen Muttersprachlers, der Deutsch zwar gelernt hat, diese Sprache naturgemäß aber nicht aus dem Effeff beherrscht, klingt sowieso alles, was Kafka schrieb, bis zu einem gewissen Grad »deutsch«, eben weil er im Deutschen sprachlich nicht zu Hause ist. Kafka auf Englisch deutsch klingen zu lassen ist vielleicht das Äußerste, was ein Übersetzer tun kann, will er dem Leser etwas von seinen eigenen Erlebnissen bei der Lektüre des Originals vermitteln.
Ausgenommen »jene wunderbaren Meister …,
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