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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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überträgt (und welche Bedeutung faktisch übertragen wird), bestimmen im Wesentlichen zwei Faktoren: erstens die Situation, in der die Äußerung gemacht wird (Zeit, Ort und Kenntnis der Usancen, nach denen Menschen zu dieser Zeit und an diesem Ort handeln und sprechen), und zweitens die Identität der Beteiligten samt den zwischen ihnen bestehenden Beziehungen. Die lexikalische Bedeutung der geäußerten Worte ist zwar nicht irrelevant (ein doppelter Macchiato ist nicht dasselbe Getränk wie ein koffeinfreier Kaffee), aber sie sind nur ein Bruchteil dessen, was geschieht, wenn jemand etwas äußert. Und auch wenn sich vielleicht nur dieser Bruchteil übersetzen lässt, bildet er jedenfalls nicht die Gesamtheit dessen ab, was gesagt worden ist.
    In einem Beitrag zur Linguistik, der inzwischen als Klassiker gilt, wies der Philosoph J. L. Austin darauf hin, dass es Typen englischer Verben gibt, die keine Handlung beschreiben, sondern Handlungen dadurch sind , dass sie ausgesprochen werden. »I warn you to stay away from the edge of the cliff (Ich rate dir, dich vom Klippenrand fernzuhalten)« ist eine Mahnung, weil der Sprecher »I warn you« gesagt hat. Im Englischen gibt es eine ganze Menge dieser performativen Verben, die allerdings nicht alle auf dieselbe Weise fungieren. Man gerät in einige Verlegenheit, wenn man versprechen, warnen, raten, drohen, heiraten, taufen, benennen, urteilen und so weiter als gesonderte Verbklasse behandeln möchte. Zum einem konstituieren diese Verben den Akt, den sie benennen, nämlich in der Regel erst dann, wenn diverse nichtsprachliche Bedingungen erfüllt sind. »Ich taufe dieses Schiff auf den Namen The Royal Daffodil « bedeutet nur dann wirklich etwas (das heißt, es verleiht einem Schiff tatsächlich diesen Namen), wenn jemand, der befugt ist, das Schiff vom Stapel zu lassen, diesen Satz bei einem tatsächlichen Stapellauf spricht und gleichzeitig die zum Stapellauf eines Schiffs gehörenden Rituale – die Champagnerflasche zerbricht beim Aufschlag auf den Bug, die Bremsschuhe werden entfernt und so weiter – vollzogen werden. Unter anderen Umständen gesprochen, von einem Mann zum Beispiel, der an der Themsemündung auf einem Liegestuhl sitzt, konstituiert der Satz mitnichten den Akt einer Schiffstaufe. Die Begleitumstände, die für den erfolgreichen Vollzug der von einem Verb dieses Typs bezeichneten Handlung erforderlich sind, nennt Austin »Gelingensbedingungen«. Natürlich kann der Vollzug einer Handlung auf vielfältige Weise durch störende Eingriffe in die notwendigen Gelingensbedingungen untergraben oder verfälscht werden. Das ändert jedoch nichts an Austins Grundthese, dass der Gehalt einer Äußerung nicht ausschließlich eine Funktion der Wörter ist, aus denen sie besteht. Die nichtsprachlichen Bedingungen und Umstände einer sprachlichen Handlung – diese eine Person, die im Beisein jener anderen spricht, zu dieser Zeit und an diesem Ort und so weiter – sind es, die es Sprachverwendern ermöglichen, mit Wörtern etwas zu tun.
    Viele Handlungen können auch mit Wörtern ausgeführt werden, ohne dass man eines der angeblich »performativen« Verben verwendet. Ich kann versprechen, jemanden zu heiraten, indem ich ein Ansuchen mit »Aber ja doch« beantworte, und das ist genauso bindend wie »Ich verspreche es«. Ich kann jemanden in der Befehlsform ermahnen – »Bleib von der Klippe weg!« –, und ich kann jemandem dadurch drohen, dass ich ihn in bestimmtem Ton auffordere, mit vor die Tür zu gehen. Die Bedeutung einer Äußerung hängt nicht allein von der Bedeutung der Wörter ab, aus denen sie besteht. In vielen Fällen kann man allein mit sprachlichen Mitteln gar nicht zeigen, dass sie überhaupt zusammenhängen.
    Die absichtsvolle Veränderung eines oder mehrerer Grundmerkmale des Kontexts einer Äußerung verwandelt eine sinnvolle Äußerung im Allgemeinen in Unsinn. Doch auch das Umgekehrte ist möglich: Wo Unsinn war, kann Sinn werden, wenn man einen anderen Kontext voraussetzt. Noam Chomsky begann sein umwälzendes Werk Syntactic Structures (1957) mit einem von ihm ausgedachten Unsinns-Satz, um zu demonstrieren, worin für ihn der wesentliche Unterschied zwischen einem (inhaltlich) sinnvollen und einem (nur) grammatisch korrekten Satz bestand. »Colorless green ideas sleep furiously (Farblose grüne Formen schlafen rastlos)« wurde als grammatisch völlig korrekter Satz präsentiert, der keinen wie auch immer gearteten Sinn hat. Innerhalb

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