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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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Das wurde viele Male getan, wie ja auch römische Gelehrte Lexika mit den Wörtern des homerischen Griechisch kompiliert und buddhistische Mönche sämtliche in heiligen Sanskrittexten vorkommenden Wörter erfasst hatten. 4 Das einsprachige Wörterbuch der Moderne verfährt mit dem Französischen oder Englischen oder Deutschen, als ob es Latein wäre – und das ist der springende Punkt. Es stellt die Landessprache auf eine Stufe mit der Gelehrtensprache. Es weist nach, dass Englisch zu sprechen genauso viel Kultiviertheit erfordert und erkennen lässt wie die Verwendung des Lateinischen. Das einsprachige Wörterbuch war von vornherein eine Waffe mit doppelter Stoßrichtung, die auf Bildung und Bestärkung des einfachen Mannes abzielte.
    Nun mögen »Bildung« und »Bestärkung« ja Hand in Hand gehen, eigentlich aber betreiben die verschränkten Hände einen Wettkampf im Armdrücken. Die ersten alphabetischen Wörterverzeichnisse in westeuropäischen Landessprachen waren Erweiterungen herkömmlicher Sprachlernwerkzeuge: Robert Estiennes Les Mots français selon l’ordre de lettres ainsi que les fault escrire & tourner en latin , erstmals publiziert 1544, half französischen Kindern beim Erlernen der Grundlagen der Sprache ihrer Kultur, des Lateinischen nämlich, und gab ihnen nebenbei ein Werkzeug zur korrekten Schreibung ihrer Sprache an die Hand. (Die Orthografie des Französischen war im 16. Jahrhundert stark schwankend. Und als Drucker legte Estienne Wert auf eine Vereinheitlichung der Schriftsprache.) Als das Englische und das Französische im 17. Jahrhundert immer mehr Wörter aus der jeweils anderen Sprache und aus den klassischen Sprachen aufnahmen, wurden alphabetische Verzeichnisse mit technischen und philosophischen Begriffen und Fremdwörtern ziemlich populär. Im Jahr 1604 brachte ein Schulmeister aus Coventry, Robert Cawdrey, ein Werk heraus, dessen langer Titel die soziokulturelle Basis erläutert, auf der das Wörterbuchmachen seither betrieben wird: A Table Alphabeticall of hard usual English wordes, with the interpretation thereof by plaine English words, gathered for the benefit & help of Ladies, gentlewomen, or any other unskilful person. Whereby they more easilie and better understand many hard English wordes, which they shall heare oder read in the Scriptures, Sermons, or elsewhere, and also be made able to do the same aptly themselves (»Alphabetisches Verzeichnis schwieriger englischer Alltagswörter nebst Erläuterung derselben durch einfache englische Wörter, gesammelt zu Nutz und Frommen von Damen, Frauenzimmern und allen anderen ungelehrten Personen. Wodurch selbige viele schwierige englische Wörter, welche sie hören oder in der Heiligen Schrift, in Predigten oder anderswo lesen, leichter und besser verstehen, als auch in den Stand versetzt werden, sie ihrerseits trefflich zu verwenden«).
    Von der Kompilation solcher dem Fortwärtskommen der mindergebildeten Klassen nützlichen Werke zur Produktion von Verzeichnissen aller Wörter überzugehen erscheint vielleicht nur natürlich. Der zunehmende Alphabetisierungsgrad, die Entwicklung des Buchhandels, die Manie, immer speziellere Glossare zu machen, und der Wunsch, die gesamte Sprachenkunde an einem Ort zusammenzufassen, alles das wären Erklärungen für diesen Schritt. Aber das wäre eine retrospektive Illusion. Es besteht nämlich ein himmelweiter Unterschied zwischen Büchern, die, und sei es noch so ausführlich, »schwierige« Wörter und technische oder fremdsprachliche Begriffe erläutern, um weniger gebildeten Leuten aufzuhelfen, und dem Anspruch, alle Wörter zu erfassen, die von Verwendern einer gegebenen Sprache gesprochen werden. Um den Sprung zu vollziehen, muss man die Sprache, die man spricht, als endliches Wesen behandeln. So gesehen wäre »die englische Sprache« keine soziale Praxis, sondern ein Ding an sich. Deshalb ist die Geschichte des englischen Wörterbuchs die Geschichte der Erfindung »einer Sprache« in dem Sinne, in dem wir das Wort heute verstehen.
    Wörterbücher sind zwar nicht allein verantwortlich für die »Verdinglichung« natürlicher Sprachen, aber mit ihnen nahm eine seltsame moderne Auffassung davon, was es heißt, eine Sprache zu haben, feste Form an. Die Verbreitung des gedruckten Buchs ist ebenfalls ein wichtiger Faktor in dem Geflecht aus sich verändernden Umständen und technischen Entwicklungen, auf deren Grundlage wir die Theorien ausbildeten, die die moderne Sprachwissenschaft seither

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