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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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genießen. Übersetzer dürfen allerdings nichts auslassen. Das ist eine gravierende Einschränkung. Für die meisten Arten des Sprachgebrauchs gilt sie nicht; sie gehört zu den wenigen Dingen, die fast auschließlich beim Übersetzen als Problem auftauchen.
    Hieronymus hat mit vielen verschiedenen Quellen gearbeitet, doch sein Haupttext für das Alte Testament war die griechische Septuaginta, einige Jahrhunderte zuvor aus heute verschollenen hebräischen Quellen übersetzt. Der Legende nach war sie um das Jahr 236 v. u. Z. von Ptolemaios II., dem griechischsprachigen Pharao von Ägypten, für seine neue Bibliothek in Alexandria in Auftrag gegeben worden. Ptolemaios hatte Männer nach Judäa entsandt mit dem Auftrag, gelehrte Juden heranzuschaffen, die den Quelltext verstanden. Er bewirtete die Männer und quartierte sie dann auf Pharos ein, der »Leuchtturm-Insel«, dem für sie ausersehenen Arbeitsplatz. Dieser Übersetzer-Workshop, mit dem alles anfing, hatte 70 (oder 72) Teilnehmer, weshalb der von ihnen produzierte Text Septuaginta genannt wird – nach einer möglichen Schreibung des lateinischen Worts für »70«, die aber keine Übersetzung ist.
    Die siebzig schrieben nicht in der Sprache Homers und Sophokles’, sondern in der Koine, der verbreiteten Verkehrssprache der hellenistischen Kulturen im östlichen Mittelmeerraum und im Nahen Osten. Sie schrieben es auch auf eigene Weise, vielleicht deshalb, weil sie die Koine nicht muttersprachlich beherrschten. Daher kann es nicht überraschen, wenn der heilige Hieronymus sieben Jahrhunderte später über manche Wörter, Wendungen und Sätze verblüfft war. Ein verräterisches Symptom für die Schwierigkeiten der siebzig mit dem Griechischen ist die Art und Weise, wie sie hebräische Wörter behandelten, die jüdische Glaubensmysterien bezeichnen. So gaben sie beispielsweise das hebräischeals Χερουβἰμ wieder, was keine Übersetzung ist, sondern dasselbe Wort in der Schrift eines anderen Alphabets. Hieronymus folgte diesem Beispiel – er notierte die ungefähre Lautgestalt derselben Wörter in lateinischer Schrift, und das ergab cherubim . Englische Bibelübersetzer taten es ihm gleich und gaben uns einen hebräischen maskulinen Plural (-im) für einen Begriff, bei dem alle Übersetzer vom 3. Jahrhundert v. u. Z. an in Verlegenheit geraten waren. Der Transport von Buchstaben durch drei Schriften und vier Sprachen hat den Klang des Worts außerdem fast bis zur Unkenntlichkeit verändert, von kheruvím zu »cherubim«.
    Diese Methode, mit Unübersetzbarem fertigzuwerden – indem man es nicht übersetzt, sondern aussprechbar macht (zur Lautübersetzung und zum homophonen Übersetzen siehe S. 46) –, könnte man als erste, ursprüngliche Bedeutung des Begriffs wörtliches Übersetzen betrachten. Sie bildet ein fremdes Wort ab, indem sie die Buchstaben, aus denen es besteht, durch die entsprechenden Buchstaben in der Schrift der Zielsprache wiedergibt. Wir nennen das nur heute nicht mehr wörtliches Übersetzen – sondern Transkription, Umschreibung. Und das hatte Hieronymus in der berühmten Passage seines Briefs an Pammachius vermutlich auch nicht im Sinn.
    Was also meinte Hieronymus mit Mysterium ? Hier ist eine andere Übersetzung der mysteriösen Passage durch einen Domherrn der Kathedrale von Canterbury:
    Denn ich gebe ja nicht nur zu, sondern erkläre frei (heraus), dass ich beim Übersetzen aus dem Griechischen (ausgenommen im Falle der Heiligen Schrift, in der sogar die Abfolge der Wörter ein Mysterium ist) Sinn für Sinn wiedergebe und nicht Wort für Wort.
    Salopp gesagt: »Ich übersetze nur da Wort für Wort, wo ich beim Original überhaupt nicht durchblicke – nicht einmal bei der Wortfolge.« So haben es Übersetzer natürlich schon immer gehandhabt. Meist vermitteln sie den Sinn; ist der Sinn aber dunkel, können sie bestenfalls – sie dürfen ja, anders als normale Leser, nichts überspringen – eine Abbildung der jeweiligen Wörter des Originals anbieten. Womöglich erklärt das sogar den Stil der Übersetzung auf Seite 68. Vielleicht wollte Derridas Übersetzer gar nicht fremden Klang bewahren, sondern war schlicht verblüfft.
    Was also ist wörtliches Übersetzen? Nicht ein Austauschen durch andere Buchstaben, denn das nennen wir Transkription. Eins-zu-eins-Ersetzung der schriftlich vorliegenden einzelnen Wörter? Vielleicht. Als Mark Twain einmal eine sehr freie französische Übersetzung seiner Geschichte The Jumping Frog of

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