Was macht der Fisch in meinem Ohr
fragt ein Journalist.
»Wir haben gelernt, uns mit ihnen zu verständigen«, erwidert der Captain.
»Und was haben sie gesagt?«
»Das können wir Ihnen nicht sagen«, teilt der Captain kühl mit. »Ihre Sprache ist vollkommen unübersetzbar.«
Es ist nicht schwer vorherzusagen, wie unsere Nachkommen mit dem Captain und seiner Crew verfahren würden. Sie würden die Astronauten wegen flugbedingten Wahnsinns behandeln lassen und, sollte sich das als unbegründet erweisen, sie als Lügner oder Lachnummern abtun. Und warum? Weil es, wenn die Bewohner des fernen Planeten tatsächlich eine Sprache besaßen und die Raumfahrer sie erlernt hatten, auch möglich sein musste wiederzugeben, was die Aliens gesagt hatten. Musste, nicht nur sollte: Vollkommen unübersetzbare Laute sind schon deshalb keine Sprache, weil wir erst wissen können, dass es eine ist, wenn wir sie übersetzen können, und sei es nur in groben Zügen.
Es gibt natürlich auch mittlere und problematische Standpunkte. Nicht alle Äußerungen lassen sich übersetzen, auch wenn wir ziemlich sicher sind, dass es sich dabei um solche einer Sprache handelt. Die ägyptischen Hieroglyphen waren so lange unlesbar, bis es zwei großartigen Linguisten, Thomas Young und Jean-François Champollion, mithilfe des Rosettasteins gelang, sie doch zu entziffern. Noch allgemeiner gesagt: Aus Sprachen, die wir nicht kennen, können wir auch nicht übersetzen. Aber die Aussage zu treffen, dass etwas in einer Sprache existiert, heißt zu postulieren, dass es sich mit entsprechenden Kenntnissen auch übersetzen lässt. 3
Übersetzen bedeutet nicht von vornherein, dass Unsagbares beim jeweiligen Akt zwischensprachlicher Vermittlung, etwa bei der Übertragung von Lyrik, verloren geht, sondern bedeutet, dass Unsagbares für Kommunikationsakte belanglos ist. Jeder Gedanke, den ein Mensch haben kann, so der Philosoph Jerrold Katz, kann durch einen Satz in jeder beliebigen natürlichen Sprache zum Ausdruck gebracht werden; und alles, was in einer Sprache zum Ausdruck gebracht werden kann, lässt sich in einer anderen ebenfalls zum Ausdruck bringen. Was in keiner menschlichen Sprache zum Ausdruck gebracht werden kann (die Ansichten gehen auseinander, ob es sich dabei um wahnhafte Vorstellungen handelt oder um solche am Fundament des Seins), liegt jenseits des Übersetzens und – für Katz – auch jenseits der Sprache. Das ist das Axiom der Sagbarkeit . Eine Wahrheit des Übersetzens – eine Wahrheit, die das Übersetzen lehrt – ist, dass man alles ausdrücken kann.
Vor allem Poesie. Amerika und Großbritannien schwimmen in Lyrikzeitschriften und alle Jahre bringen Kleinverlage Hunderte von schmalen Bändchen mit übersetzten Gedichten heraus. Das Heer unserer heutigen Gedichtübersetzer, die Verse aus Liebe zur Sache übertragen, erhält die Poesie am Leben. Poesie ist nicht das auf der Strecke Gebliebene, sondern der Ertrag ihrer Arbeit.
Ein bestimmtes Gedicht kann etwas so Persönliches in jemandem ansprechen, dass sich das nicht mitteilen lässt, viel eher aber stellt sich das Problem von Gedanken, die nicht ausdrückbar sind, auf einem anderen Gebiet. Nicht bei der Begegnung mit genialer Literatur, sondern bei der mit anderen Spezies stoßen wir an Mauern des Unsagbaren.
Von einer Reise nach Südamerika brachte der Schriftsteller Romain Gary eine acht Meter lange Pythonschlange mit, die er Pete der Würger nannte und dann einem Privatzoo in Kalifornien stiftete. Während seiner Tätigkeit als französischer Generalkonsul in Los Angeles besuchte Gary Pete immer wieder in seinem Käfig.
Voller Erstaunen starrten wir einander an, oftmals über Stunden, fasziniert und überrascht, eingeschüchtert und dennoch nicht fähig, einer dem anderen zu erklären, was mit uns geschehen war und wie und warum es geschehen war, nicht fähig, einer dem anderen auszuhelfen mit einem Verstehen, das aus unserer jeweiligen Erfahrung aufblitzen mochte. Sich in der Haut eines Python oder in der eines Menschen zu befinden ist ein so seltsames und frappierendes Abenteuer, dass die Bestürzung, die uns verband, eine tiefe Brüderlichkeit zwischen uns gestiftet, uns zu Brüdern gemacht hatte, ungeachtet unserer jeweiligen Spezies. 4
Vielleicht hatte Romain Gary ja recht mit seinem Eindruck, dass ein Python sich so wenig vorstellen kann, wie es ist, einer von uns zu sein, wie wir uns in die geistige Welt eines Reptils hineindenken können – und gestand einem schrecklichen, mit einem Gehirn von
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