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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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auf Zweisamkeit, Häuslichkeit und so ’n Zeugs. Die Kindersache war dann sozusagen der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte.« Sie fuhr mit einem Stück Brot am Boden ihrer Terrakottaschale herum. »Ich meine, ich bin ja keine strikte Gegnerin von paarweiser Häuslichkeit. Es hätte sogar ganz schön sein können. Aber ich hatte den Eindruck...«, sie schüttelte den Kopf, »ich wußte — daß das alles von woanders herkam. Von dieser anderen Beziehung. Was immer es war, er versuchte es mit mir wiederherzustellen.« Sie ließ ihr Brot immer noch in der Schale herumkreisen, so als seien es ihre Gedanken. »Na ja, angeblich geht man ja fremd, um die wilde Leidenschaft zu erleben. Aber ich schätze, Vic hatte eine Affäre mit einer Frau, die ihm — du weißt schon, das Gegenteil gab — Sicherheit, Gemütlichkeit und Geborgenheit...« Sie betrachtete ihr braunes getränktes Brotstück und ließ es in die Schale fallen. »Ich glaube, wenn man sich jemand anderen zuwendet, dann immer wegen dem, was einem fehlt.«
    Joe nickte, hatte aber das Gefühl, daß sie im Grunde eher zu sich selbst sprach.
    »Und als er dann von Kindern anfing — da erinnerte ich mich an das Angebot des jungen Mr. Vaqueros und rief ihn zurück.«
    »Fehlt Vic dir nicht?«
    »Doch«, sagte sie ohne zu zögern. Und dann: »Nein.« Dann, nach kurzem Überlegen, stellte sie richtig: »Mir fehlt der Mann, in den ich mich verliebt habe«, sagte sie bestimmt. Sie fiel in einen ironischernsthaften Ton. »Der wahre Vic, so wie ich ihn in Erinnerung habe.«
    »Möchtet ihr noch was, Leute?«
    Sie sahen zu dem Dreadlock-Kellner/Besitzer auf, der das Euroamerikanisch eines MTV-Videojockeys sprach.
    »Espresso?« fragte Tess.
    »Kann ich eine Crema Catalana haben?« fragte Joe.
    Der Kellner nickte und ging fort.
    »Da wirst du gleich wieder zunehmen. So was ist tödlich. Meterbreite Crèmes Brûlées ...«
    »Jaah, aber ich gehe inzwischen ins Fitneßstudio.«
    »Allen Ernstes?« Sie ließ ihre Augen von seinem Gesicht zu seinen Schultern und Armen wandern. »Hab’ doch gleich gefunden, daß du ganz schöne Muskelpakete hast.«
    »Ja. Ich hatte ziemlich viel abgenommen — nach Emmas Tod.« Diese erste Erwähnung von ihr strich wie Elektrizität an ihnen vorbei. »Aber ich gehe zu einer Hinterbliebenentherapeutin...«
    »Wirklich?«
    »Jaah. Und einer ihrer vielen Ratschläge war, ich sollte Sport treiben. Ich weiß, es klingt wie Quatsch. Aber es hilft wirklich, die Depression in Schach zu halten.«
    Tess sah ihn zweifelnd an. »Na ja...«
    »Außerdem nehme ich seit ein paar Monaten ein Antidepressivum ein — eins dieser Psychopharmaka. Und etwas in mir sträubt sich dagegen, da drauf zu sein. Ich meine, es unterdrückt natürlich die Depression — hält sie unten, dämpft sie irgendwie —, zum Verschwinden bringt es sie allerdings nicht.« Er hustete wieder. »Aber mir gefällt es nicht, wie es einen die Orientierung verlieren läßt — daß man anfängt, seinen eigenen Gefühlen zu mißtrauen, den guten wie den schlechten. Zum Beispiel fühlst du dich in einem Moment vielleicht gerade glücklich, und eine Sekunde später fragst du dich, bin ich wirklich glücklich? Oder ist es bloß die Pille?«
    »Ja«, sagte Tess, die das Gefühl hatte, daß sie nicht die erste Person war, der Joe das erzählte; er redete wie alle ihre Bekannten, die in Therapie gingen — übermitteilsam.
    »In gewisser Weise würde ich die schlimmen Gefühle lieber empfinden, sie in aller Schärfe durchmachen...« Er verstummte. »Und daß ich genau darüber Bescheid weiß, was diese Dinger in meinem Hirn anrichten, macht es auch nicht besser. Und auf Charlenes Vorschlag hin...«
    »Sie ist Amerikanerin?«
    »Ja... verbringe ich deshalb das ganze Wochenende im Fitneßstudio.«
    »Kannst du nicht vor der Arbeit gehen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er bestimmt. »Da habe ich nicht die Zeit. Wir stehen vielleicht kurz vor dem großen Durchbruch.«
    »Das ist ja fantastisch!« rief Tess, aufrichtig erfreut.
    »Jaaah«, sagte Joe halbherzig und wunderte sich selbst, daß er nach all seinen Anstrengungen nicht in ihren Überschwang einstimmen konnte. Obgleich es unbestreitbar fantastisch war, fehlte ihm wohl inzwischen einfach die richtige Wellenlänge für dieses Wort. Vielleicht reagierte er auch nur deshalb so gedämpft, weil er wußte, daß er nach dem Durchbruch einen neuen Grund finden mußte weiterzuleben.
    Beide schwiegen einen Moment; draußen ging das

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