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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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Miene, »hat Charlene mir noch einen Rat gegeben...« Er verstummte und sah Tess in die Augen. Sie hob erwartungsvoll eine Braue und nickte dann langsam, weil sie es erriet: »...daß du herkommst und mit mir sprichst.«
    »Ja.«
    »Hm.« Sie betrachtete ihre Hände, überlegte, wie Charlene sich wohl ausgedrückt hatte: Sie müssen ein Ventil für Ihre Schuldgefühle finden, das, was in jener Nacht geschah, als Realität akzeptieren. Etwas in der Richtung. »Und erläßt sie dir die Reisekosten von ihrem Honorar?«
    »Nein«, sagte Joe mit einem leichten Lächeln. »Sie meinte, ein paar Tage Ferien würden mir sowieso guttun.«
    Sein Dessert und ihr Kaffee kamen. Er bohrte seinen Löffel durch die braune Zuckerschicht oben drauf, die in Dreiecke zerbrach.
    »Ich hätte schon früher zu dir kommen und mit dir reden sollen — als du noch in London warst aber ich...«
    »Du konntest die Vorstellung nicht ertragen«, sagte sie sachlich. »Das ist verständlich.« Sie warf drei Zuckerwürfel in ihre winzige Tasse. »Also, was willst du sagen?«
    »Nun...« Er verstummte. Tess öffnete die Hände und wartete. Joe aß ein paar Löffel von der Crema Catalana, deren fast unerträgliche Süße ihm gerade recht war.
    »Okay«, sagte sie, als er den Löffel hinlegte und zum Fenster hinaussah. »Wies scheint, muß ich das Reden übernehmen.« Sie trank ihren Espresso mit einem Schluck aus und schob die Tasse fort. »Ich weiß, daß ich manchmal ein bißchen... hart wirke. Meistens ist das nicht meine Absicht. Und jetzt ganz bestimmt nicht. Du hast Schreckliches durchgemacht, und du verdienst es...«, er sah sie wieder an, eindeutig neugierig, was er verdiente, »daß man dich freundlich behandelt.« Sein Gesicht verriet, wie bewegt er war; durch die Psychopharmakadämpfer spürte er, wie das Meer in ihm wieder zu wogen begann. »Aber was es zu sagen gibt, ist einfach. Deshalb will ich es kurz und knapp sagen. Versteh mich bitte nicht falsch, Joe, es bedeutet nicht, daß ich grausam bin.« Er nickte, bereit, allem zuzustimmen. Sie wappnete sich, oft gedachte Gedanken auszusprechen. »Du kannst dir nicht die Schuld geben. Du hattest keine Ahnung, was in jener Nacht passieren würde, in der wir zusammen schliefen. Vielleicht war es für sich selbst genommen verkehrt, aber daß es im nachhinein plötzlich etwas ganz Entsetzliches sein soll — das ist Quatsch. Ein solcher Rückblick ist Quatsch.«
    »Ich weiß...«, sagte Joe. »Aber das ist das Problem. Wenn einem die Frau stirbt, dann wird man von aller Welt getröstet. Und diese Rede, die ich auf der Beerdigung hielt? Die hat alles nur noch schlimmer gemacht. Dauernd rufen irgendwelche Freunde an und sagen genau dasselbe wie du eben. >Du darfst dir nicht die Schuld geben. Du hast nichts falsch gemachte Und dann will ich ihnen bloß entgegenschreien: Doch, das habe ich. Ich habe was Schlimmes getan!« Tess hob die Hand zum Einwand, aber er winkte ab. »Und ich kann mir noch nicht mal die üblichen Vorwürfe machen. Andere Männer in meiner Situation denken vielleicht, wäre ich doch nur da gewesen, wäre ich doch nur bei ihr gewesen. Und ich kann nicht mal das denken — weil es mich sofort dahin führt, wo ich war.«
    »Joe...«, sagte sie und hätte ihm gern über die Wange gestreichelt, war aber unsicher, weil eine solche Berührung durch seinen Schmerz hindurch vielleicht wie das Echo anderer Zärtlichkeiten war. »Wenn du willst... gib mir die Schuld! Okay? Es war meine Schuld. Du kamst an dem Abend schließlich nicht mit dem Vorsatz vorbei, mit mir ins Bett zu gehen.« Er sah fort, kämpfte gegen die Tränen an. »Also war ich schuld. Ich habe den ersten Schritt getan. Ich war sauer auf Vic.« Ihr Gesicht wurde wieder hart, aber das mußte es, wenn die Worte glaubwürdig klingen sollten, mit denen sie ihm helfen wollte: »Betrachte mich als verdammte alte Hure, die dich gegen deinen Willen verführt hat.«
    Joe guckte weiter aus dem Fenster, er bebte jetzt am ganzen Körper. Sein Herz pochte wie der Wind gegen die Fensterscheibe. Eine Weile verstrich, in der Tess sich zurücklehnte und sich wie ausgehöhlt fühlte: Noch mehr Osterlämmer oder sonstige Opfer konnte sie nicht mehr vor ihm niederlegen. Aber dann drehte er den Kopf und sah sie wieder an, und da merkte sie, daß ihr Opfer angenommen worden war: Obwohl er außerstande war zu sprechen, erkannte sie die tiefe Dankbarkeit in seinem tränenüberströmten Gesicht.
    »Glaubst du, daß Charlene damit zufrieden ist?«

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