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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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seine gütig-humorvolle Sicht der Welt zu teilen und ihm im So-ist’s-nunmal-Einverständnis die Hand zu reichen. Joe fragte sich, wie er jemandem beibrachte, daß er Krebs hatte.
    »Macht nichts«, sagte Joe. Er hatte mit dem Royal Brompton einen Termin mit Professor Dewar ausgemacht, aber als er in dessen Büro in der neurologischen Abteilung ankam, teilte ihm die gestreßte Sekretärin mit, donnerstags sei der Professor immer in seiner Privatpraxis, und überhaupt, von einem Termin wisse sie nichts. Als Joe die Nummer anrief, die sie ihm gab, war der Mann selbst am Apparat, und obwohl Joe schwante, daß der Professor keine Ahnung hatte, wer er war, entschuldigte sich die volle schottische Stimme am anderen Ende unentwegt und drängte ihn, sobald, wie es ihm möglich sei, zur Harley Street hinauszukommen — was, wie sich herausstellte, am späten Nachmittag desselben Tages war. »Bei der Terminvereinbarung gab es kleines Problem, weil noch ein anderer Dr. Dewar am Brompton arbeitet.«
    »Ja, Markus! Auf der Allergiestation!« Professor Dewars Augen glitzerten, als würde er sich Malzwhisky in ein erfreulich großes Glas gießen. »Wir werden oft verwechselt. Dabei ist er noch nicht mal ein richtiger Schotte!«
    »Auf der Allergiestation?«
    »Ja! Der Stolz unserer Immunitätsforschungsabteilung. Erzielt große Erfolge beim Reduzieren allergischer Reaktionen, indem er den Patienten kontinuierlich erhöhte Dosen des Allergieerregers injiziert — den Heuschnupfenleuten Pollen und so weiter.« Professor Dewars Lächeln wurde breiter. »Wenn Sie Markus allerdings fragen würden, wie die Sache funktioniert, so hätte er keine Ahnung. Nicht den kleinsten Schimmer! Nun ja, das Immunsystem ist eben eins der großen Rätsel. Womit wir...«, sagte er und fischte aus den Papieren auf seinem Schreibtisch Joes auf Friedner-Geschäftspapier geschriebenen Brief heraus, »...sozusagen mitten in Ihrem eigenen Gebiet wären, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte Joe, erleichtert, daß der Professor, wenn auch offenkundig erst kurz zuvor, den Brief gelesen hatte. »Wie ich Ihnen schrieb, leite ich das Forschungslabor für Friedner. Wir arbeiten an einem HIV-Impfstoff. Und natürlich an einem Medikament für die bereits infizierten Patienten.«
    »Richtig. Ja.« Professor Dewar runzelte die Stirn, wobei seine Augenbrauen, die wie bei vielen Männern mit dem Ergrauen buschig geworden waren, sich in einem spitzen Dreieck trafen, wie bei einem Werwolf; aber obwohl dadurch seine Stirn noch grimmiger gerunzelt aussah, war sein Gesamtausdruck immer noch lächelnd. Oberhalb der Stirnfurchen verebbte seine Haut in Äcker glänzenden kahlen Schädels. »Wenn ich mich recht erinnere, habe ich neulich im Lancet gelesen, daß Friedner die Geldmittel für die HIV-Forschung kürzt? Ursprünglich war der Konzern doch, auf Unternehmerseite, einer der Hauptgeldgeber für die Retrovir-Forschung, nicht wahr?«
    Joe legte sich die Hand an die Schläfe und vergrub sein Gesicht darin; dieses Insidergeplänkel ermüdete ihn, obwohl er natürlich von Professor Dewars Informiertheit beeindruckt war, zumindest in medizinischer Hinsicht. In jeder anderen, dachte Joe, beschränkte sich sein Horizont wahrscheinlich auf den von Radio 4 abgesteckten.
    »Ja. Aber wir haben unsere Forschungen trotzdem weiterbetrieben — so gut es eben ging.«
    »Großartig! Und Sie glauben also, Sie sind auf der richtigen Spur?« Er sagte es in einem Ton, wie ihn ein aufgeblasener Inspektor gegenüber Sherlock Holmes anschlug. »Ich weiß nicht. Vielleicht.«
    Darauf trat Stille ein — eine tiefe Stille, die von den dicken Holztäfelungen an dreien der Wände des Raums wie versiegelt war. Eine Lautlosigkeit, die es in keinem Krankenhaussprechzimmer hätte geben können, mit dem ständigen Hintergrundgeräusch von Generatorengebrumm, Medikamentenwagengeklapper, Doppeltürknallen, den Rufen von Schwestern auf dem Flur und den fernen Piepstönen der elektronischen Intensivstationsapparatur. Hier herrschte die Stille des Wohlstands — die Art Ruhe, die durch das langsame Ticken einer alten Standuhr noch betont wird. Es war keine solche Uhr im Raum, aber Joe hörte sie trotzdem ticken.
    Trotz des Schweigens guckte Professor Dewar weiterhin beflissen und verbindlich. Da aus Joes Mund jedoch der Forschungsbericht nicht kam, den er eindeutig erwartete, sagte er: »Hmmhh. Womit kann ich Ihnen also dienen?«
    »Vor ungefähr sechs Monaten hatten Sie eine Patientin namens Tessa Carroll.

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