Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
Vom Netzwerk:
liebten sie einander so, wie sich zwei Menschen nur lieben können; und damit in ihrer Liebe noch Raum für einen anderen war, mußten sie ihr einen Teil entziehen.
    Joe erinnerte sich auch, daß es ungefähr zwei Wochen vor Jacksons Geburt zum ersten Mal zu wirklichen Spannungen zwischen ihnen kam. Sie hatten Freunde zum Essen eingeladen — wegen Emmas Zustand hatte Joe das Kochen übernommen —, und spät am Abend, als alle anderen Gäste schon gegangen waren, saßen sie noch mit Vic zusammen, der als einziger geblieben war. Tess war unterwegs — diesmal nicht in Weingeschäften, sondern zu Besuch bei ihrer Familie in Devon; außerdem war ihre Beziehung zu Vic noch so frisch, daß ihre Abwesenheit nicht weiter auffiel; Joe, Emma und Vic kamen wunderbar als Dreiergespann zurecht.
    »Gott«, sagte Emma und hielt sich den Bauch, »heute abend ist er aber wirklich quengelig.«
    Joe, der neben ihr auf dem Sofa saß, legte ihr die Hand auf den gewölbten Bauch, und wie jedesmal war er überrascht, daß er so hart war. Emma hatte recht — Joe brauchte nur eine Sekunde zu warten, bis ein Tritt von innen kam, bei dem seine Hand fast in die Luft geflogen wäre.
    »Lieber Himmel«, sagte er. »Was können wir denn dagegen machen?«
    »Ich hab’ eine Idee«, sagte Vic, holte Joes alte sechssaitige Gitarre aus der Zimmerecke und setzte sich dann im Schneidersitz vor das Sofa. Er begann, seine eigene Version von David Bowies »Lady Grinning Soul« zu spielen; mit seinen Improvisationen gab er dem Song ein klassisches spanisches Flair.
    »Irgendwo hab’ ich gelesen — ich glaub’, es war in Elle daß es irgendwie eine gute Wirkung auf ungeborene Kinder hat, wenn man ihnen Musik vorspielt«, sagte er, während seine Finger über die Saiten rasten, daß sie kaum zu sehen waren. »Gott, Vic«, sagte Joe, der es wie immer nicht fassen wollte, wie gut Vic spielte, »du bist so ein Gitarrengenie! Warum, zum Teufel, vergeudest du dein Talent für Frosta?«
    Vic zuckte gleichgültig die Achseln — sein letzter Studiojob war ein Spot für Curry-Pfannkuchen gewesen — und spielte weiter.
    »Nutzt es schon was?« fragte Joe.
    »Ich glaube ja...«, sagte Emma, trommelte mit den Fingern auf ihren Nabel und blickte Vic bewundernd an; er lächelte, spielte weiter und hielt die Gitarre näher an ihren Bauch. »Vielleicht solltest du in den Kreißsaal kommen und spielen, wenn ich das Baby kriege. Vielleicht hat es ja auch auf mich eine beruhigende Wirkung.«
    »Ach, Liebling, es wird alles gutgehen«, sagte Joe.
    » Du hast gut reden.« Sie zog eine Grimasse. »Für dich wahrscheinlich.«
    »Hast du Angst?« fragte Vic völlig naiv.
    Emma lachte, so wie sie es manchmal tat, ein kehliges, rauhes irisches Lachen, das von einer viel älteren Frau zu kommen schien.
    »Ich mach’ mir nur in die Hose vor Angst.«
    Vic sah Joe an, der jetzt seinerseits die Achseln zuckte.
    »Tja, also — irgendwann kommt ein Punkt, an dem Männer keinen Rat mehr wissen, wirklich...«
    »Hör zu«, sagte Vic zu Emma. »Warum probierst du nicht einfach, den Schmerz auf jemand anderen zu projizieren?« Emma setzte sich kerzengerade hin.
    »Wie meinst du das?«
    Vic lehnte die Gitarre gegen das Sofa. »Als ich zwölf war, spielte ich in der Schulmannschaft Fußball. Und da habe ich mir einmal die Schulter ausgerenkt.«
    »O Gott«, stöhnte Joe. »Jetzt kommt doch wohl hoffentlich nicht die Graham Whale-Geschichte?«
    »Halt den Mund. Man kann nie wissen, vielleicht hilft es. Jedenfalls liefen mir die Tränen nur so runter, und ich wälzte mich vor Schmerz auf unserem matschigen Platz herum. Da kam unser Sportlehrer, der auch der Schiedsrichter war — Mr. Branston...«
    »Wie die Mixed Pickles?«
    »Ja, wie die Pickles — und er bückte sich zu mir runter und flüsterte: >Ich renk dir die Schulter wieder ein. Es wird sehr weh tun. Und jetzt sag mir, wen am Platz haßt du am meisten?< Und ich sagte durch meine Tränen: >Graham Whale. Er hat mich umgeschmissen.<« Vic gab eine kurze schauspielerische Darbietung von sich als wimmerndem Jungen. Emma lachte. »Und Mr. Branston flüsterte mir ins Ohr: >Okay, das hier jetzt, das passiert nicht dir, es passiert Graham Whale. Du bist bloß ein Voodoo für ihn.< Und so machte ich es. Ich konzentrierte mich ganz fest darauf. Ich bildete mir ein, ich wär’ Graham Whale — mit seinem ranzigen Geruch und den unmöglichen Hosen und seinem Haarschnitt, den seine Mum ihm eindeutig mit einem Topf verpaßt hatte. Und dann

Weitere Kostenlose Bücher