Was man so Liebe nennt
erst zu äußern gewagt, wenn er sich auch ganz sicher war, daß der Geruch von Jackson kam.
Das beengte Bad war peinlich sauber — Sylvia harte es heute wahrscheinlich schon zwanzig Mal geputzt, dachte Joe — , aber es war so alt und erinnerte so an arme Zeiten, daß es trotzdem ungesund wirkte: In der Badewanne zog sich jene gelbe Spur vom Hahn zum Abflußloch hin, die jahrzehntelanges Zusammenwirken von weichem Wasser und harter Emaille hinterläßt und gegen die keine noch so großen Mengen Ata etwas ausrichten. Aus keinem ersichtlichen Grund stand in der Ecke gegenüber der Toilette ein gepolsterter Schemel mit einem himmelblauen Kissen obendrauf. Joe legte Jacksons Zwergenkörper darauf, knöpfte zuerst seine kleinen Jeanslatzhosen auf und dann die Pampers. Jackson guckte zu ihm hoch, seine grünen Augen genau wie Emmas, nur daß diese bestimmte Leere in ihnen war, wie immer, wenn er sich vollmachte, was er — wie Joe bemerkte, als er auf den braunen, sich über die Windel ergießenden Strahl hinabsah — gerade wieder tat. Jacksons Blick erinnerte Joe an den Ausdruck in Boris’ Augen — Boris war Sylvias alter Boxer — , wenn er sich über den Bürgersteig hockte: absolute Leere, die totale Selbstvergessenheit. Joe machte sich nicht sonderlich viel aus Boris; als sie heute ankamen, hatte er wie immer wie wild gebellt und geknurrt, worüber Joe sauer war, teils, weil er fürchtete, es könnte Jackson ängstigen, aber vor allem weil er immer das Gefühl hatte, Boris machte bloß eine Show.
Love — soft as an easy chair...?
Joe blickte auf. Emmas Gesang hallte gedämpft durch die Wand; anders als bei Barbara Streisands Interpretation hob sie auf der letzten Note die Stimme erwartungsvoll, aber das hatte seinen Grund: Sie wollte ihre Mutter zum Mitsingen animieren.
Love... firesh as the morning air...
hob Syliva prompt an, mit leicht brüchiger Stimme zwar, aber immer noch mit dem Vibrato des Halbprofis. Dann zusammen:
Onnnnne... love that is shared by two...
Joe rollte die schmutzige Windel zusammen und warf sie in den Badezimmerabfalleimer. Er achtete sorgfältig darauf, nirgendwo Spuren zu hinterlassen; er wollte Emma keinen Grund geben, etwas an ihm auszusetzen.
I have found with you.
Er hielt gerade Jacksons Beine hoch, um ihm seinen Po feucht abzuwischen, als Emma ihren Kopf durch die Badezimmertür steckte.
»Ich mache nur grad einen kleinen Spaziergang mit Mum. Willst du mitkommen?«
»Nein, geht ruhig. Ich brauche hier noch ein Weilchen. Wie lange bleibt ihr fort?«
Sie zuckte die Achseln. »Zwanzig Minuten?« Sie trat neben Joe und beugte ihr Gesicht ganz nah zu dem nackten Jackson hinab, der die Arme nach hinten warf und eine Art Brücke vollführte; sein vorgestreckter Bauch glättete all seine Speckfalten, nur da, wo Arme und Beine begannen, waren sie noch.
»Und? Sind wir schön sauber jetzt, kleiner Mann?« Jacksons Augen wurden lebendig, und sein pausbäckiges Gesicht lächelte, das Lächeln eines Dreizehnmonatealten, der einen neuen Ausdruck ausprobieren will; wegen des immer noch vorhandenen Muttermals fiel es ein wenig schief aus. Emma und Joe schmolz das Herz. Solche Momente verbanden sie immer noch. Denn gibt es irgendeine Geste, die so klein ist und so viel auslöst wie ein Babylächeln? Emma richtete sich auf, ihr lilienweißes Gesicht eine Mischung aus Traurigkeit und Dankbarkeit, und einen Moment lang hatten beide das Gefühl, daß hier, über ihren Jungen gebeugt, vielleicht ein Ort war, an den sie immer zurückkehren konnten, auch wenn es genau der war, der sie ursprünglich auseinandergebracht hatte; aber vielleicht konnten sie gerade deshalb hier den Faden wieder aufnehmen. Vielleicht hätten sich sich jetzt, während ihre Rücken, ihre Gesichter und ihr Baby ein vollkommenes Dreieck bildeten, sogar geküßt, aber da schrie Sylvia: »Wozu um Himmels willen stehe ich hier in meinem Mantel herum?«, und aus Emmas Augen schwand alle Weichheit und wich einem gehetzten und gereizten Ausdruck. Immerhin gab es einen kleinen Übergangsmoment, der für Joe nach Bedauern aussah. Dann war sie fort. Er hörte, wie sie ihrer Mutter wieder in den Mantel half und sie daran erinnerte, daß sie unbedingt habe spazierengehen wollen.
Die Wohnungstür fiel zu. Joe wischte noch einmal über Jacksons Po und legte ihm eine neue Windel an, die sich weiß und knisternd wie zerknülltes Pauspapier unterhalb seines Nabels bauschte, seines vom erst kürzlich erfüllten Zweck noch
Weitere Kostenlose Bücher