Was sich kusst das liebt sich
strich sich nervös über eine lose Haarsträhne. » Ich brauche dringend eine neue Frisurenidee– ich hab den zerzausten Pferdeschwanz und den lockeren Knoten echt satt«, murmelte sie und fügte rasch ein » Danke« hinzu, als sie seinen irritierten Blick aufschnappte. Max hatte null Verständnis für ihre Angewohnheit, sich selbst ständig runterzumachen. » Du siehst auch echt schick aus, aber ich bin nach wie vor der Ansicht, dass du lieber deinen Anzug anziehen hättest sollen. Und vielleicht zur Abwechslung ein Paar Schuhe ohne Stern.«
Max sah an sich hinunter. » Ich trage meine gute Levis und meine am wenigsten ausgetretenen Converse«, protestierte er, und als Neve ihren Kamm aus der Tasche holte und ihm damit durch die Haare fuhr, protestierte er noch heftiger.
» Für jemanden, der meine Hand nicht halten will, umklammerst du aber ganz schön kräftig meinen Arm«, flüsterte er, als sie einem Sicherheitsbediensteten ihre Namen genannt hatten und sich einer offenen Tür am Ende des Korridors näherten.
Neve hörte es kaum, denn ihr Herz klopfte zum Zerspringen, und aus der Bar drang Gelächter, untermalt von einem anschwellenden Stimmengewirr. Sie kam sich vor wie in einem Nobelbordell: Von der Decke hingen rote Lampen über kleinen, in einem weiten Halbkreis aufgestellten Tischchen und Ledersesseln mit dicken Nieten.
» Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun«, flüsterte sie zurück. Gleich war es so weit. Sie verspürte das Bedürfnis, die Stöckel tief im Teppichboden zu vergraben, oder besser noch, auf dem Absatz kehrtzumachen und Reißaus zu nehmen, aber sie schmiegte sich an Max, versuchte, sich eine Scheibe von seiner Gelassenheit abzuschneiden, und setzte weiter einen Fuß vor den anderen.
Sie betraten die Bar und begannen, sich durch das Gewühl zu drängen. Neve spürte nur den schwarzen Wollärmel der Jacke, an den sie sich klammerte. Die Gesichter der Anwesenden verschwammen vor ihren Augen. Sie senkte den Kopf und versuchte, sich möglichst schmal zu machen, während sie sich durch die Menge kämpften. Erst als sie ein Paar Halbschuhe mit Quasten und ein Paar goldene Sandaletten vor sich sah, die den Blick auf zehn rosa lackierte Zehennägel freigaben, bemerkte sie, dass sie angehalten hatten.
» Neve, ich würde dir gern Bill und Jean vorstellen, Mandys Eltern. Das ist Neve, meine… Freundin«, hörte sie Max sagen, und dann legte er eine Hand auf ihre Finger, die sich noch immer an seinem Arm festhielten. Sie zwang sich, den Kopf zu heben.
» Schön Sie kennenzulernen«, sagte sie mechanisch, wie ihre Eltern es ihr von frühester Kindheit an eingeimpft hatten, und lächelte zaghaft.
Bill hatte schütter werdendes schneeweißes Haar, das er sich aus dem wettergegerbten Gesicht gekämmt hatte. Er zerrte mit der Rechten am Kragen seines rosaroten Anzughemds. Zwischen den dicken Fingern seiner linken Hand hielt er ein Glas Champagner, und er sah aus, als würde er sich in Jeans und mit einer Dose Bier in der Hand bedeutend wohler fühlen.
» Ah! Max hat uns schon viel von dir erzählt, aber er hat nicht erwähnt, wie hübsch du bist. Was für eine Haut!« Jean kniff Neve in die Wange, genau wie Granny Annie es früher getan hatte. Das war aber auch schon die einzige Gemeinsamkeit mit ihrer Großmutter. Jean McIntyres blondes Haar war mächtig auftoupiert, ihre Lippen glänzten rosa. Sie trug einen weißen Hosenanzug und ein schwarzes, mit Pailletten besticktes Top. » Glatt wie ein Babypopo. Und sie hat in Oxford studiert, Bill«, sagte sie und lächelte freundlich.
» Was will ein so intelligentes Mädchen denn mit einem solchen Taugenichts?« Bill deutete auf Max und ließ ein dröhnendes Lachen hören, dann nahm er ihn in den Schwitzkasten und zerzauste ihm die Haare, während sich Max wand und die Augen verdrehte. » Dieser Bursche ist der Sohn, den ich nie hatte und nie haben wollte. Ich hoffe, du brichst ihm nicht das Herz.«
» Ich werde versuchen, es zu vermeiden«, sagte Neve hilflos, und da die beiden sie immer noch anlächelten, lächelte sie zurück und zermarterte sich das Hirn, was sie als Nächstes sagen sollte.
» Neves Dad ist übrigens auch im Baugewerbe«, bemerkte Max, als er sich aus Bills Griff befreit hatte, und Neve warf ihm einen dankbaren Blick zu, denn Bill fing auf der Stelle an, sie mit Fragen zu löchern.
Sie diskutierten eine Weile die Auswirkungen der Bankenkrise auf die Bauwirtschaft, dann erwähnte Neve, dass ihr Vater einen
Weitere Kostenlose Bücher