Was sich kusst das liebt sich
fast, als hätte Neve eine Art Test bestanden, von dem sie nichts geahnt hatte. » Aber wenn du irgendwo eine Kamera versteckt hast und deine beste Freundin die Klatschspalten für News of the World schreibt, dann…«
» Einer meiner besten Freunde ist ein vierzigjähriger Schwuler, der an einer Dissertation über Stephen Spender schreibt«, protestierte Neve. » Und meine Schwester arbeitet zwar für Skirt, aber sie interessiert sich nur für Mode und sonst nichts.«
» Wow! Kriegt sie da Klamotten geschenkt?«, fragte Lauren.
» Nein, aber manchmal behauptet sie, dass bei einem Fotoshooting etwas verschwunden ist.« Neve entspannte ganz bewusst ihre Schultern. » Ich kann mir gut vorstellen, dass es für euch nicht lustig ist, am Tag vor der Hochzeit eurer besten Freundin eine Fremde aufs Auge gedrückt zu bekommen, wo ihr euch doch einfach nur ein bisschen entspannen wolltet. Ich verstehe das, und jetzt gehe ich duschen und fahre dann mit dem Taxi zurück zum Hotel.«
» Red keinen Quatsch«, tadelte Tasha sie. » Los, komm mit uns ins Dampfbad und erzähl uns, welche Stars deine Schwester kennt.«
» Ich kann nicht«, sagte Neve vebissen. Sie würde ihnen wohl oder übel reinen Wein einschenken müssen. » Ich war früher ziemlich dick. Richtig, richtig dick, und ich bin immer noch dick. Und ich zeige mich nicht gern…«
» Wie dick denn genau?«, fragte Emma unverblümt. » Du siehst nämlich nicht viel dicker aus als ich.«
Neve blinzelte und nahm Emma, die in der Unterwäsche vor ihr stand, etwas genauer in Augenschein. Sie war schätzungsweise zwei Größen kleiner als sie. » Ich war mal 160Kilo schwer«, gestand Neve. » Und du bist größer und dünner als ich, und bei mir hängt im Gegensatz zu euch alles nur schlaff runter.«
» 160Kilo?«, stieß Emma hervor. » Hast du dir einen Magenbypass oder ein Magenband einpflanzen lassen?«
» Weder noch. Ich habe einfach weniger gegessen und mehr Sport gemacht.«
» Wie viel genau hast du abgenommen?«
» Wie lang hat es gedauert?«
» Ich habe nach Keirans Geburt die Atkins-Diät gemacht, um auf mein altes Gewicht runterzukommen, und ich hatte ständig Verstopfung. Hast du dich kohlehydratarm ernährt?«
Als sie nun von allen Seiten mit Fragen bombardiert wurde, bemerkte Neve plötzlich Laurens Kaiserschnittnarbe, Emmas ungleiche Brüste und Kellys Dehnungsstreifen, und Tasha erzählte ihr, dass sie oft von wildfremden Menschen auf der Straße gefragt wurde, ob sie magersüchtig sei.
Jede von ihnen hatte etwas an ihrem Körper auszusetzen, und Neve wusste nicht, ob sie das beruhigend oder beängstigend finden sollte. Sie stand auf und begann, sich auszuziehen, obwohl ihr Herz klopfte, als wäre sie im Begriff, mit einem Fallschirm aus einem Leichtflugzeug zu springen– oder in einen Pool, in dem es vor Haien nur so wimmelte. Sie hatte zwar nicht vor, sich splitterfasernackt ins Dampfbad zu setzen, aber sie konnte ja einen Kompromiss eingehen und sich in ein Badetuch wickeln.
Als sie sich bis auf ihrem Sport- BH und das figurformende Miederhöschen entblättert hatte und sich hektisch eines der ordentlich zusammengefalteten Frotteetücher schnappte, die auf einem Sideboard bereitlagen, sagte Kelly: » Ich weiß nicht, was du hast. Für mich siehst du völlig okay aus. Ich hoffe, die bringen uns bald den Schampus; du musst dich dringend entspannen.«
Im Laufe des Nachmittags genehmigte sich Neve noch einige weitere Gläser Champagner, doch das reichte leider nicht aus, um ihr nach ihrem morgendlichen Auftritt als Xanthippe die nötige Courage für die bevorstehende Begegnung mit Max zu verleihen. Es genügte immerhin, um ihr Schwierigkeiten beim Öffnen der Hotelzimmertür zu bereiten.
Sie gedachte, sich unauffällig und mit zutiefst zerknirschter Miene (die hatte sie hervorragend drauf, wie man ihr mehrfach attestiert hatte) hineinzuschleichen, damit Max ihr auf der Stelle verzieh, womit es ihr erspart bliebe, eine demütige Entschuldigung zu stammeln. Das war der Plan, doch nachdem sie sich ein paar Minuten mit der Schlüsselkarte abgemüht und an der Klinke gerüttelt hatte, wurde die Tür plötzlich von innen geöffnet.
Neve sah hoch und erwartete, Max zu erblicken, doch er hatte ihr lediglich aufgemacht. Ihr war klar gewesen, dass er noch sauer war, weil sein Telefon ausgeschaltet war; sie hatte nur die Mailbox erreicht, wann immer sie angerufen hatte, um sich zu entschuldigen. Aber sie hätte nicht gedacht, dass er so sauer war. Sie
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