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Was sich kusst das liebt sich

Was sich kusst das liebt sich

Titel: Was sich kusst das liebt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manning Sarra
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nachhaltig verändern wird, aber sie weiß es im Moment noch nicht.«
    » Nun komm, rück es raus«, sagte Philip. » Ich möchte wissen, wie es mit ihrem Vater weiterging, bevor sie nach Oxford gezogen ist. Los, her damit.«
    Neve griff zögernd nach der Tasche unter ihrem Stuhl. Das LLA hatte vor einiger Zeit zwölf Kartons mit Unterlagen über Leben und Werk der erfolglosen Romanschriftstellerin und absolut unbekannten Lyrikerin Lucy Keener erhalten, die erst einmal ein paar Wochen lang in Neves Büro Staub angesetzt hatten. Da es unzählige solche Dichter gab und Neve in keiner Datenbank verstorbener Autoren irgendetwas über Lucy Keener oder ihre Werke hatte finden können, hatte sie nicht allzu viele Hoffnungen gehegt, hier eine große Schriftstellerin des 20. Jahrhunderts zu entdecken. Dann waren ihr eines Nachmittags die Kassetten zum Transkribieren ausgegangen, und sie hatte begonnen, L uc ys autobiografischen Roman Mein Tanz am Rand der Welt zu überfliegen, der von Lucys Arbeit für das Britische Propagandaministerium während des Zweiten Weltkriegs handelte. Und da war es um sie geschehen: Neve hatte sich verliebt, genau wie damals, als sie im Alter von zwölf Jahren eines Samstagnachmittags in der örtlichen Bibliothek Stolz und Vorurteil aufgeschlagen hatte oder als sie ihren ersten Katherine-Hepburn-Film gesehen hatte oder als William an ihre Tür im Somerville College geklopft und sich als ihr Tutor vorgestellt hatte.
    Den Rest der Woche hatte sie damit zugebracht, jede einzelne vergilbte Seite aus den Archivkartons zu verschlingen. Sie hatte Lucys Gedichte, Briefe und Tagebücher gelesen und war fasziniert gewesen von diesem Mädchen aus Leeds, das der Arbeiterklasse entstammte und ein Stipendium für Oxford erhalten hatte, obwohl sich ihr tyrannischer Vater strikt dagegen ausgesprochen hatte. In Oxford hatte sie Charles Holden kennengelernt, dessen Familie riesige Landstriche in Gloucestershire sowie ein Herrenhaus in Mayfair besaß. Lucys Liebesaffäre mit Holden hatte nicht nur den Krieg und seine Ehe mit der zweiten Tochter eines Viscounts überlebt, sondern sogar die Tatsache, dass er zu den Russen übergelaufen war, als…
    » Ich warte, Neve«, erinnerte Philip sie. Neve kramte eine Mappe heraus, die zehn mit einfachem Zeilenabstand beschriebene Seiten enthielt– das fünfte Kapitel der Biografie über Lucy K een er, die sie verfasste. Sie wusste nicht einmal, wieso sie sich die Mühe machte, denn Mr Freemont hatte sich geweigert, Lucys Werken einen literarischen Wert zuzusprechen, als Neve mit ihrer Entdeckung zu ihm gekommen war.
    Er hatte eine Seite von Mein Tanz am Rand der Welt mit seinem stechenden Blick überflogen. » Kein Wunder, dass sie nie einen Verlag gefunden hat«, hatte er bemerkt. » Das hat keinerlei Esprit. Kleingeistige Ideen von einer Frau mit einer kleingeistigen Weltanschauung. Ist es wirklich nötig, dass sie sich eine ganze Seite lang über einen Hut auslässt, den sie kaufen möchte? Schick es zurück.«
    Aber Neve hatte sich geweigert und auf ihrer Meinung beharrt – sehr zu Mr Freemonts Erstaunen, denn normalerweise gehorchte sie, ohne zu widersprechen. Er hatte trotzdem nicht nachgegeben. Als sie den anderen Archivmitarbeitern eine Fotokopie von Mein Tanz am Rand der Welt zum Lesen gegeben hatte und das Werk bei allen auf Begeisterung gestoßen war, hatte ihr Mr Freemont eine schriftliche Verwarnung wegen grober Gehorsamsverweigerung angedroht, worauf sich Neve und Chloe das Auto von Chloes Freund ausgeliehen und die Kartons in Neves Gästezimmer verfrachtet hatten. Zuvor hatten sie eine ganze Woche lang heimlich jedes einzelne Fitzelchen Papier eingescannt, damit es ein Back-up gab, falls Celia wieder einmal eine Kerze brennen lassen und die Abelard Road 27 in Flammen aufgehen sollte.
    Neve hatte also damit begonnen, eine Biografie zu schreiben, weil sie sich über Mr Freemont geärgert hatte. Stummer Protest war die einzige Form von Widerstand, die sie kannte. Außerdem wollte sie ihre schriftstellerischen Fähigkeiten etwas trainieren, hatte sie doch seit ihrem Uniabschluss nicht mehr geschrieben. Vor allem aber wollte sie nicht, dass Lucys traurig-schönes Leben ungelesen und unbekannt in zwölf Kartons endete.
    Zum Glück hatte sie, obwohl sie ganztags arbeitete und täglich ein mörderisches Trainingsprogramm im Fitnesscenter absolvierte, erschreckend viel Freizeit, und die verwendete sie nun dazu, das Material zu sichten, zu kollationieren und über Lucys

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