Was sich kusst das liebt sich
gebrannten, blonden Kalifornierinnen gemacht, aber eine Schauspielerin? Models? Sie würden William auffressen. Er war die perfekte Verkörperung des patrizischen Archetyps– er sah aus, als käme er geradewegs von einem Kricketspiel, und er hatte dieselbe zerstreute aristokratische Ausstrahlung wie Hugh Grant. Und William war kein Mönch. Er war zwar kein Casanova wie Max, aber in Oxford hatte er zahlreiche Freudinnen gehabt. Lauter spindeldürre Dinger, die Klamotten im Bohemian Style von Topshop trugen und viel Rilke lasen. Wahrscheinlich gab es auch an der UCLA solche Mädchen, nur dass sie dort nicht Sophie, Camilla und Tamara hießen, sondern Tiffany, Brittany und Courtney.
William war jetzt seit drei Jahren in Kalifornien, und selbst wenn er nur ab und zu mit einem Mädchen ausgegangen war, hatte er in dieser Zeit garantiert mit mindestens fünfzehn Frauen Sex gehabt. Fünf Frauen pro Jahr, das war vermutlich noch eine sehr konservative Schätzung. Und Neve? Der einzige Mann, der sie in diesen drei Jahren berührt hatte, war Gustav, der ihr gelegentlich nach dem Work-out bei den Dehnungsübungen half. Plus eine Runde Beinahe-Sex mit Max. Das war nicht gut genug. Sie war nicht gut genug. William hatte eine sexuelle Vergangenheit, und es gab sechzehnjährige Mädchen, die mehr Erfahrung hatten als Neve.
Sie ließ den Blick durch den Leseraum schweifen. Die eifrigste Besucherin des Archivs, die sie Unsere liebe Frau vom gesegneten Taschentuch nannten, schniefte und zog einen ganzen Stapel Taschentücher aus dem Jackenärmel, und Neve war, als würde sie in ihre Zukunft blicken.
Sie faltete Williams Brief zusammen und steckte ihn in den Umschlag zurück, damit der Inhalt sie nicht länger quälen konnte. Ihr blieb keine Zeit mehr herumzueiern, Probleme vor sich herzuschieben und vage Pläne auszuhecken, deren Umsetzung viel zu lange dauern würde. Sie musste etwas unternehmen. Jetzt gleich. Sie musste einen Mann finden, irgendeinen…
Kapitel 9
Am darauffolgenden Montag hatte Neve zwar noch keinen Mann gefunden, aber sie hatte für die kommende Woche fünf Verabredungen vereinbart und war deswegen so nervös, dass sie kaum einen Bissen hinunterbrachte, was ein unerwarteter Bonus war.
Celia hatte sie nicht eingeweiht; die würde ihr doch nur wieder dazu raten, mit männlichen Models auszugehen und sie zwingen, Kleider zu tragen, die sie nicht anziehen wollte. Stattdessen hatte sie sich an Chloe gewendet.
Auf den ersten Blick hatten sie nicht viel gemeinsam: Chloe war cool, Neve nicht. Chloe wusste zwar nicht ganz so viel über Mode wie Celia, kleidete sich aber mit einer Lässigkeit, die man sich nur aneignen konnte, wenn man die prägenden Jugendjahre damit zugebracht hatte, mit seinen Hippie-Eltern in einem VW -Bus durch Europa zu reisen. Sie beherrschte fünf Sprachen und hatte ihr Studium in Cambridge mit Auszeichnung abgeschlossen, obwohl sie erst ein Jahr vor dem Abitur auf eine normale Schule gekommen war. Außerdem spielte sie Bass in einer Band, die sich The Fuck Puppets nannte, nähte wunderschöne Taschen aus Vintage-Seidentüchern, die sie übers Internet verkaufte, und konnte in elf Sekunden ein großes Bier kippen. Neve hatte mitgestoppt.
Vielleicht lag es ja gerade an ihrer verrückten, nomadischen Kindheit, dass Chloe einen außerordentlichen Hang zur Konventionalität hatte. Abgesehen von ihrer Begeisterung für die Romane von Georgette Heyer und der Abneigung gegen Mr Freemont war es vor allem dieser Wesenszug, der sie und Neve miteinander verband. Jeden Nachmittag um Punkt halb fünf Uhr diskutierten sie, was es bei ihnen zum Abendessen geben würde.
Chloe verabredete sich nie mit Männern, weil sie seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr mit ihrem Freund zusammen war, der inzwischen eine Ausbildung zum Wirtschaftsprüfer absolviert hatte. Dafür hatte sie viele Freundinnen, die sich mit Männern verabredeten und führte mit ihnen oft stundenlange Telefonate, um ihnen nach misslungenen Dates Trost zu spenden oder hilfreiche Beziehungstipps zu geben.
Deshalb war Neve vorigen Donnerstag, sobald Mr Freemont zu einer Vorstandssitzung gegangen war, zu Chloe hinübergehuscht. » Kannst du mir mal kurz helfen?«, hatte sie sie gebeten.
Chloe hatte sich murrend erhoben, in der Annahme, dass sie für Neve in dicken, verstaubten Wälzern irgendwelche obskuren Quellenangaben nachschlagen sollte. Stattdessen sah sie sich mit Neves Profil auf der Dating-Seite match.com konfrontiert.
» Könntest du
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