Was sich kusst das liebt sich
war schon schlimm genug; es sollte niemand erfahren, dass er obendrein ein Ehebrecher war.«
» Dann sollte ich wohl diesen Roman lesen«, bemerkte Jacob Morrison. Es klang nicht gerade sehr begeistert.
» Das ist unmöglich«, schaltete sich Mr Freemont ein, der die ganze Zeit über geschwiegen und sich nur hin und wieder die spröden Lippen geleckt hatte. » Ich habe Neve aufgetragen, Lucy Keeners Unterlagen samt und sonders an ihren Nachlassverwalter zurückzuschicken.«
» George, es ist doch ziemlich offensichtlich, dass die Unterlagen nicht zurückgeschickt wurden«, sagte Mary Vickers sanft. Sie schien die ganze Chose äußerst amüsant zu finden. » Das ist alles sehr aufregend. Womöglich hat Miss Slater einen neuen Stern am Literaturhimmel entdeckt.«
» Also, Neve, haben Sie eine Kopie dieses Romans?«, wollte Jacob Morrison wissen. Neve überlegte fieberhaft, ob es ein Kündigungsgrund war, wenn Lucys Unterlagen noch in ihrem Besitz waren. Sie blickte hilfesuchend zu Chloe.
» Die Unterlagen wurden extern gelagert«, sagte Chloe, was definitiv besser klang als » Der Karton steht bei Neve im Gästezimmer«. » Sie sollten sich auch die ersten Kapitel von Neves Biografie zu Gemüte führen. Überaus fesselnd.«
» Schicken Sie mir doch einfach ein zweiseitiges Exposé.« Jacob Morrison fischte eine Visitenkarte aus der Sakkotasche und reichte sie Neve. » Zusammen mit einer Kopie des Manuskripts von… Mein Tanz am Rand der Welt, richtig?«
Neve streckte den Arm aus, nahm die Karte entgegen und bedankte sich nickend und lächelnd, obwohl sie wusste, dass Jacob das nur aus reiner Höflichkeit gesagt hatte. Er würde die erste Seite von Mein Tanz am Rand der Welt lesen und zu dem Schluss kommen, dass der Roman literarisch wertlos war. Schließlich war er der Superstar unter den Literaturagenten. Zu seinen Klienten gehörten ein paar Booker-Prize-Gewinner und mindestens drei Autorinnen von diesen Sex-und-Shopping-Schinken, die ständig auf der Bestsellerliste standen. Wahrscheinlich wäre es das Beste, wenn Neve ihm Mein Tanz am Rand der Welt gar nicht erst schickte; er würde den Roman ohnehin nicht verstehen. Sie hatte einen ausgeprägten Beschützerinstinkt, was Lucy Keener anging, und der war zweifellos der Grund dafür, dass das Universum (beziehungsweise Lucys Nachlassverwalter) Lucys literarisches Erbe ausgerechnet ihr anvertraut hatte.
Als das Meeting endlich zu Ende ging, spürte Neve, wie Mr Freemonts schmale Augen erst auf ihr und dann auf Chloe ruhten, während sich Harriet Fitzwilliam-White bei den Anwesenden für die Teilnahme bedankte, als wären sie freiwillig hier. Dann erhoben sich die Kuratoren, und Jacob Morrison holte noch eine Visitenkarte aus der Tasche, die er im Hinausgehen Chloe zusteckte.
Rose, Chloe, Neve und Mr Freemont lauschten den Schritten von fünf Fußpaaren, die über den Parkettboden im Foyer marschierten. Sobald die Tür ins Schloss gefallen war, drehte er sich zu Neve um. Sein Kinn zitterte vor Wut.
» Das hätte ich nicht von Ihnen erwartet, Neve«, fauchte er, und sie sank auf ihrem Stuhl in sich zusammen. Ihr war klar gewesen, dass sie die volle Wucht seiner Empörung zu spüren bekommen würde– er wagte es nicht, seinen Ärger an Rose oder Chloe auszulassen, die nicht einmal vorgaben, seine Autorität zu respektieren. » Ich habe Sie ausdrücklich aufgefordert, diese Unterlagen zurückzuschicken. Was Sie getan haben, ist… Diebstahl.«
» Nein, ist es nicht«, wies ihn Rose in die Schranken, während Chloe die Chance ergriff und hinaushuschte. » Und im Übrigen wäre es gut, wenn Sie auch mal darüber nachdenken würden, wie wir etwas Umsatz machen können, statt dass Sie Ihre Zeit darauf verschwenden, mir Memos zu schicken, weil ich Ihrer Ansicht nach zu viele Haftnotizen verbrauche.«
» Unsere Aufgabe ist es nicht, Umsatz zu machen, sondern ein literarisches Erbe zu beschützen«, bellte Mr Freemont. Oh, oh. Das konnte noch Stunden dauern. Neve sprang auf, murmelte » Entschuldigen Sie mich« und rannte aus dem Raum.
Sie sah gerade noch, wie Chloe auf der Treppe zum Souterrain verschwand.
» Warte! Ich muss mit dir reden!«, rief sie ihr hinterher.
Chloe blieb nicht gleich stehen, sondern wartete am Fuße der Treppe auf Neve, die Hände in die Seiten gestemmt, die Miene unschuldig. » Schon gut, Neve«, sagte sie spröde. » Du brauchst dich nicht zu bedanken.«
» Mich bedanken? Dafür, dass ihr mich hintergangen habt? Ihr hättet mich ruhig
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