Was sie nicht weiss
sagen, ja. Vorher war sie ein ruhiges, eher braves Kind, dann aber gab es ständig Streit. Sie setzte sich über alle Regeln hinweg. Wir wollten sie dann etwas mehr unter Beobachtung haben und waren eher streng mit ihr, aber trotzdem kam und ging sie, wie es ihr passte und blieb manchmal sogar die ganze Nacht weg. Wenn wir deswegen schimpften, bekamen wir patzige Antworten.«
»Waren Sie diesen Auseinandersetzungen denn ge wachsen?«
»Ich schon, jedenfalls zu Anfang. Meine Frau dagegen regte sich jedes Mal so auf, dass sie Beruhigungstabletten nehmen musste. Es gab aber auch Phasen, da war Maaike wieder wie früher. Ehrlich gesagt, manchmal war ich drauf und dran, sie doch noch in ein Heim zu geben, denn ihre Auftritte wurden immer schlimmer. Meine Frau war gesundheitlich angeschlagen, und der dauernde Ärger hat ihr schwer zugesetzt. Mir übrigens auch, ich habe Herzrhythmusstörungen bekommen, die sich nach dem Tod meiner Frau noch verschlimmert haben.«
»Sie haben Ihre Enkelin aber nicht in ein Heim gegeben, oder?«
»Sie ist mit sechzehn ausgezogen, in ein betreutes Wohnprojekt für Jugendliche. Als sie später nach Amsterdam zog und die Kunstschule besuchte, wirkte sie wieder ausgeglichener und kam uns auch öfter mal besuchen.«
Jessica, die eifrig Notizen macht, hebt den Blick. »Herr Scholten, sagt Ihnen der Name David Hoogland etwas?«
»Das ist der junge Mann, der umgebracht wurde. Ich hab’s in der Zeitung gelesen.«
»Richtig, aber kannten Sie ihn von früher? Sind Sie ihm irgendwann mal begegnet?«
»Nein, warum fragen Sie?«
»Weil er zu Maaikes Bekanntenkreis gehört hat, in der Zeit, als sie noch bei Ihnen wohnte.«
»Ihre Freunde kannte ich nicht, sie hat nie welche mit nach Hause gebracht. Wir hätten nichts dagegen gehabt, aber sie wollte das nicht. Es war wirklich nicht einfach mit dem Mädchen. Mag sein, dass meine Frau und ich im Umgang mit ihr Fehler gemacht haben. Aber wir haben getan, was wir konnten.«
Sie könnten jetzt eigentlich gehen, aber etwas hält Lois zurück. Sie überlegt noch, was genau sie zögern lässt, da ergreift Jessica schon wieder das Wort: »Kennen Sie zufällig eine Tamara?«
Zum ersten Mal ist Lois dankbar, dass Jessica dabei ist. Wie konnte sie nur vergessen, nach Tamara zu fragen? Wahr scheinlich sagt der Name dem Mann nichts, da er ja Maaikes Freunde nicht kannte, trotzdem hätte sie die Frage stellen müssen.
»Merkwürdig, dass Sie das fragen …« Herr Scholten blickt nachdenklich zum Fenster.
»Sie kennen Tamara also?«, hakt Jessica nach.
»Hat Maaike von ihr erzählt?«
»Was genau meinen Sie, Herr Scholten? Was sollte Maaike erzählt haben?« Lois rutscht auf dem Sofapolster nach vorn und sieht ihn erwartungsvoll an.
»Ach, ich sollte besser nicht darüber reden.« Er betrachtet die Flecken auf seinen Händen.
»Vielleicht hilft es uns weiter«, sagt Lois leise.
»Maaike konnte sehr … nun ja … sehr seltsam sein.« Die Stimme des alten Mannes zittert leicht, das Thema scheint ihm unangenehm zu sein, dennoch spricht er weiter: »Meine Frau und ich haben uns kaum getraut, es laut auszusprechen, aber wir haben uns öfter mal gefragt, ob mit Maaike etwas nicht stimmt.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie hatte, wie schon gesagt, starke Stimmungsschwankungen. Vom einen auf den anderen Augenblick konnte ihre Laune umschlagen. Nicht immer so, dass es Krach gegeben hätte, sie war einfach … anders. Das lässt sich schwer erklären. Irgendwie kam’s mir vor, als wäre unsere Enkelin, die wir doch gut kannten, plötzlich verschwunden und eine andere stünde vor uns. Wenn das der Fall war, wollte sie auch nicht mit Maaike angeredet werden.«
Lois und Jessica tauschen einen schnellen Blick. Jetzt kommt es! Sie wissen es, noch bevor Herr Scholten weitersprechen kann.
»Tamara – wollte sie in solchen Situationen Tamara sein?«
Er nickt. »Ja, so war es. Und sie wurde fuchsteufelswild, wenn wir trotzdem Maaike zu ihr sagten. Wissen Sie, Maaike hatte als kleines Mädchen sehr viel Fantasie, und wenn sie bei uns zu Besuch war, hat sie fast immer allein gespielt und sich dabei auch anders genannt. Damals dachten wir uns nichts dabei, denn es soll ja Kinder geben, die sich Fantasie freunde zulegen – so etwas in der Art war es wohl, dachten wir. Aber dass es in der Pubertät immer noch vorkam, hat uns doch Sorgen gemacht.«
Schon seit Wochen hat Lois immer wieder das Gefühl, in ihrem Gehirn hätten sich ein paar Zahnrädchen verhakt und
Weitere Kostenlose Bücher