Was vom Tode übrig bleibt
schon eine Ewigkeit andauern musste. Und das Bitterste daran war, dass der Doktor sich nicht daran gewöhnt hatte wie andere Messies, sondern dass ihm sehr wohl klar war, dass normale Menschen nicht so lebten wie er. Und ein Teil seiner Reaktion war sein Rückzug in diese furchtbare Wohnung– er konnte das Problem nicht mehr lösen, also hatte er beschlossen, es niemanden sehen zu lassen. Diesem Mann hatte kein Klempner abgesagt, dieser Mann hatte ganz offensichtlich nicht mehr den Mut gehabt, einen Klempner anzurufen. Dann rief er schon lieber uns, die wir vielleicht noch viel Schlimmeres gesehen hatten.
Wir holten unsere Overalls. Die folgenden Stunden boten dann auch ein ziemlich bizarres Bild: Während um uns herum der alte Mann so wie immer stand und saß, im verdreckten Hemd, in den Filzlatschen, in dieser undefinierbaren Hose, kämpften wir uns durch seine Wohnung wie durch verseuchtes Gebiet, in voller Montur, mit weißen Overalls, mit Mundschutz, alle Ritzen in der Kleidung dicht abgeklebt. Als Erstes desinfizierten wir seine Wohnung: Wände, Decken, den Boden, ganz besonders den Boden, Kohrsolin, 15 -prozentig. Es hätte nicht viel gefehlt und wir hätten ihn vorsichtshalber gleich mit desinfiziert. Danach teilten wir uns auf.
Hardy übernahm die Küche und ich das Bad. Lange Zeit stand nicht fest, wer dabei den schlechteren Griff gemacht hatte. Aus der Küche entsorgte Hardy sechs gefüllte 120 -Liter-Müllsäcke. Dann, als erstmals Platz zum Arbeiten war, reinigte er sämtliche Flächen, sämtliche Schränke, sämtliche Schubladen mit Desinfektionslösung, immer schön von oben nach unten. Ausräumen, Putzen, Einräumen, ein Klacks im Vergleich zu dem, was danach kam: der Herd. Hardy war ungelogen zwei Stunden lang allein mit dem Herd beschäftigt. Erst mit dem einen, dann mit dem anderen.
In Sachen Müll konnte ich im Bad mit Hardy gleichziehen. Das Leeren der Badewanne füllte ähnlich viele Tüten wie bei ihm in der Küche. Beim Putzen hätte ich gerne den Herd übernommen, wenn mir dafür der Boden rund um die Toilette erspart geblieben wäre. Ich arbeitete mit einer DES 3000 -Lösung, die praktischerweise Desinfektions- und Reinigungsmittel in einem ist und die wirklich erstaunlich gut wirkte– aber eindeutig an ihre Grenzen stieß. Was über Monate eingesickert, angetrocknet, überlagert, eingesickert, angetrocknet, überlagert war, ließ sich nicht einfach in ein paar Stunden auflösen. Ich kroch auf Knien um die Toilettenschüssel (die ich wohlweislich als Allererstes gewienert hatte) und löste mit einem Spachtel und einer Bürste mühsam und krümelweise die dunklen Schichten ab, von denen ich nur zu gern nicht gewusst hätte, was es war. Ich wäre froh gewesen, wenn ich mit einem handelsüblichen Schrubber im Stehen hätte arbeiten können, aber so hätte ich niemals genug Druck entwickeln können, um den Kot abzulösen, der praktisch versteinert war. Ich verbrachte zwei bis drei Stunden stets auf Tuchfühlung mit den Exkrementen, die Nase nie mehr als 40 Zentimeter davon entfernt, und vielleicht hätte ich sogar gekotzt, wenn ich gewusst hätte, wohin. Man erbricht sich nicht so leicht in eine Toilette, wenn man weiß, dass man alles sofort selbst wieder aufwischen darf.
Alles hat einmal ein Ende, Hardy war mit seiner Küche etwa zur gleichen Zeit fertig wie ich mit dem Bad. Nun begannen wir Platz zu schaffen. Im Flur, im Wohnzimmer und vor allem auf dem Balkon. Wir wollten dort all das, was nicht weggeworfen wurde, zwischenlagern– und obendrein den alten Herrn. Es ging ja schließlich auch um Schädlingsbekämpfung. Sobald wir die Siedlungs- und Brutorte seiner Motten entsorgt hatten, würden wir die bestehenden Bestände vergiften müssen. Und währenddessen konnten wir ihn ja nicht in den Insektizidnebel setzen. Wir hatten ihm vorgeschlagen, er solle in der Zwischenzeit in ein Café gehen, aber es zeigte sich rasch, dass er längst nicht mehr in der Lage war, sich unter andere Menschen zu begeben. Also würde er auf dem Balkon warten müssen, was im Juli wenigstens von der Temperatur her problemlos möglich war. Wir gingen zuerst die Wespen an und beseitigten sie mit Wespenex Depot aus der Pumpflasche. Dann entmüllten wir weitestgehend den Balkon und das Wohnzimmer. Den Klammereffekt, den manche Messies haben– die Unmöglichkeit, sich von den Dingen zu trennen–, hatte der alte Herr seltsamerweise nicht; ich hatte sogar den Eindruck, er war uns richtig dankbar. Andererseits
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