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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Anders
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ich merke auch, dass ich das Fass nicht mehr ganz leer bekomme und wohl auch nie mehr wieder ganz leer bekommen werde.
    Ich merke mit 44 , dass ich viel mehr denke. Mit 23 hab ich mir keine Sorgen gemacht. Ich bin auf Dächern herumspaziert, da wär’s einem vom Zuschauen schwindlig geworden. Heute ist das anders. Ich habe kürzlich einen Einsatz bei einem Personenaufzug gehabt. Der war stecken geblieben, die Aufzugfirma bekam die Sache nicht in den Griff und hat die Feuerwehr gerufen. Woran man wieder sehen kann, wie vielseitig Feuerwehrleute sind: Notfalls sind wir offenbar auch der bessere Aufzugsservice. Wie dem auch sei: Die Kabine steckte im fünften Stock fest, und als wir dort die Türe geöffnet hatten, sah ich über Kopfhöhe nur den Kabinenboden und die Schuhe der Fahrgäste in der Kabine. Und direkt vor mir war der zwölf Meter tiefe Aufzugschacht. Ich sollte derjenige sein, der Kontakt mit den Insassen hielt, der sie beruhigt. Also stellte ich mich an den Aufzug und tat alles, damit die Leute nicht die Ruhe verloren. Aber während der ganzen Zeit musste ich an den Schacht vor mir denken, dass ich keine Sicherung hatte, dass ich da sinnvollerweise nicht reinstürzen sollte. Und was passieren würde, wenn mir jetzt schwindlig würde. Währenddessen kam ständig eine Türkin, deren Mann und Kinder im Lift feststeckten, und drängelte sich an den Spalt. Ich wollte natürlich nicht, dass sie mir in den Aufzugschacht stürzt, also hab ich immer wieder gesagt: » Gehen Sie da weg! Wenn Sie da runterfallen, sind Sie tot! Sie haben eine Stimme, Sie können von da hinten genauso gut reden.« Aber die ganze Zeit dachte ich zugleich, dass ich selbst auch nicht in den Schacht fallen sollte und dass mir jetzt besser nicht schlecht werden sollte. Und ich bekam ein mulmiges Gefühl im Bauch, das ich vor zehn Jahren noch nicht gehabt hätte. Weder das mulmige Gefühl noch den Gedanken an eigene Schwindelgefühle oder den Bammel vor dem Kriechgang.
    Wir haben bei der Feuerwehr einen Kriechgang mit Engstellen, in den wir zum Trainieren mit dem Pressluftatmer geschickt werden. Der Kriechgang ist stockdunkel, und damit’s realistisch wird, kommt auch noch Rauch rein. Passieren kann eigentlich nichts, weil praktisch überall Notluken sind, über die man Leute rausholen kann. Aber Sinn der Übung ist natürlich durchzukommen. Einmal im Jahr muss man die Übung machen. Früher bin ich da rein und fand das spannend, mit 20 bereitete mir das großen Spaß. Heute finde ich es unangenehm. Heuer bin ich erstmals stecken geblieben. Ich bin erst gebückt vorwärtsgegangen, dann kam ich nicht mehr weiter, also habe ich versucht, rückwärtszugehen. Und dann hing ich fest. Nach vorne ging nichts, nach hinten auch nicht, zu sehen war nichts, und plötzlich hatte ich ein mulmiges Gefühl. Vor allem wegen der bevorstehenden Niederlage, denn wer im Kriechgang stecken bleibt, hat verloren, kassiert jede Menge dummer Sprüche und wird eine Zeit lang zum Gespött der Wache. Aber da war noch etwas: ein leichter Anflug von Hilflosigkeit, von Platzangst, von Beklemmung, ich würde sogar sagen– von Panik. Das wäre mir früher nicht passiert, da hätte ich es wahrscheinlich sportlich gesehen, so, als hätte man eben einen Elfmeter verschossen und ärgert sich dementsprechend. Ich kam dann doch wieder frei und hab mich irgendwie durchgequetscht. Und ich hoffe, dass mich solche Erlebnisse zu einem besseren, umsichtigeren, reiferen Feuerwehrmann machen– aber ich muss schon sagen: einfacher war es früher, als man weniger gedacht hat.
    Einen Vorteil hat die Sache jedoch: Ich fahre nicht mehr so bescheuert Ski wie früher. Ich war gar nicht schlecht, wir waren jedes Wochenende in den Bergen, zu acht oben am Start der schwarzen Piste, und dann hieß es: Wer als Erster am Lifthäusl ist. Ich war schnell, zu schnell, rücksichtslos, bin über Kanten gesprungen, wenn da einer gestanden wäre, der wäre tot gewesen, Wahnsinn. Glück gehabt. Ich und die Leute, die zeitgleich mit mir in den Bergen waren.

17. Amok
    Wenn man als Feuerwehrmann oder Rettungsassistent zu einem Einsatzort unterwegs ist, ist man immer aufgeregt. Man ist neugierig und gespannt darauf, was einen erwartet, und fast so etwas wie sensationslüstern. Man kann es leider nicht anders oder schmeichelhafter beschreiben. Wir können aber nicht anders empfinden, es ist schlicht unmöglich, so wie es für uns alle fast unmöglich ist, auf der Autobahn an einem Unfallort vorbeizufahren,

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