Was vom Tode übrig bleibt
Erlebten nicht klarkam.
Dummerweise kann man sich auf solch schlimme Erlebnisse nicht vorbereiten. Ich werde mich und meine Kollegen zwar demnächst beim KIT schulen lassen, wie wir Opfern auch seelisch besser helfen können, falls wir wieder früher oder länger am Einsatzort sind als die Psychotherapeuten. Aber für meine eigene Seele gibt es keine schusssichere Weste und auch keine Rollenspiele und kein Training. Obwohl die Belastungen zunehmen. Im sogenannten MANV, dem » Massenanfall von Verletzten«, einem Szenario für Fälle wie in Eschede, werden Rettungsassistenten künftig die Notärzte mehr unterstützen als früher. Dabei gilt es, die Opfer in Kategorien einzuteilen: Grün für » Leicht verletzt«, Gelb für » Schwer verletzt, aber keine sofortige Hilfe nötig«, Rot für » Schwer verletzt mit sofortiger Hilfsbedürftigkeit«, und Schwarz für » Keine Überlebenschance«. Und das sehr sinnvolle Ziel ist, möglichst schnell Kategorie » Rot« herauszufinden, denn Hunderte Opfer brauchen zur Beurteilung viel Zeit, und Zeit hat diese Kategorie eben nicht. Aber klar ist, dass wir Rettungsassistenten in einem solchen MANV zunächst nicht aktiv helfen dürfen, sondern zuerst einteilen müssen, und wenn man dann Opfern, Schwerstverletzten, Eltern mit kleinen Kindern die Hilfe verweigern muss, weil man erst Menschen in Rot, Gelb, Grün, Schwarz einteilen muss, kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass man hinterher reif ist für die Couch.
Ich habe daher für mich den Schluss gezogen, dass ich aus meinem Kopf-Fass möglichst oft möglichst viel ablassen muss. So schlau sind meine Kollegen natürlich auch, aber der eine schafft es besser, der andere schlechter, und ich habe das Glück, dass es bei mir besser funktioniert. Ich erzähle meine Geschichten, und ich erzähle sie vor allem zu Hause.
Petra, meine Frau, Jenny und Jill, meine Töchter, müssen sich normalerweise meine Erlebnisse anhören. Nicht alle drei auf einmal, meistens, sondern jede einzeln, je nachdem, wann sie mir gerade über den Weg laufen. Und wenn ich die Geschichte schon einmal erzählt habe, finde ich sie selbst schon ein bisschen langweilig, was ich daran merke, dass ich sie bei jedem weiteren Mal schneller erzähle und mit weniger Details, und das ist für mich dann ein Zeichen, dass sich mein Kopf allmählich wieder beruhigt hat. Je nachdem, wie sehr mich ein Erlebnis bewegt hat, gerät es dann allmählich in Vergessenheit– oder es taucht nach einiger Zeit wieder auf und meine drei Zuhörerinnen langweiligen sich, wenn ich es ihnen erzähle, weil sie die Geschichte schon kennen. Doch Jenny und Jill haben inzwischen ein professionelles Interesse an meinen Erlebnissen entwickelt. Jill lässt sich zur Krankenschwester ausbilden, Jenny studiert Pflegewissenschaften, hat ein Praktikum im Hospiz hinter sich und ist schon mit mir zu Tatortreinigungen gefahren und hat da derart mit angepackt, dass ich ganz stolz auf sie gewesen bin. Nur Petra profitiert von meinen grauenhaften Geschichten nur wenig, ich erzähle sie ihr, wie andere Männer abends aus dem Büro erzählen oder von einer Baustelle oder sie mir umgekehrt von ihren Erlebnissen im Sonnenstudio berichtet. Und wenn gar nichts mehr geht, wenn ich drei furchtbare Tatorte in einer Woche gereinigt habe, sag ich ihr, dass ich einen Entspannungstag brauche.
Dann gehen wir gemeinsam zum Friseur, nehmen uns nichts vor, sitzen zu Hause und ich putze mein Einsatzauto. Das klingt spießig, ist aber sehr entspannend, sehr wichtig, befriedigend, beruhigend: ein sauberes, einsatzbereites Auto, alles ist an seinem Platz, perfekt beschriftet. Manchmal denke ich dann an mein optimales Einsatzfahrzeug, mein kleines Batmobil für Tatortreiniger, das ich mir eines Tages zulegen werde, mit Wassertank, Abwassertank, in dem man stehen und arbeiten kann, mit allen Chemikalien, Werkzeugen und viel, viel Platz. Oder ich werfe den Grill an, denn das ist für mich als Entspannung mindestens genauso wichtig: essen. Zu Hause mit der Familie, aber auch nach jedem Einsatz. Ich achte darauf, dass wir hinterher gemeinsam essen gehen, den Einsatz besprechen. Das Abschlussessen ist für mich ein Signal: Jetzt ist Feierabend, jetzt ist der Dreck weg, jetzt ist alles wieder gut. All das hat mir bislang geholfen, dass mein persönliches Kopf-Fass noch nicht übergelaufen ist. Und ich hoffe, das gelingt mir noch eine ganze Zeit lang. Man darf ja nicht vergessen: Letzten Endes mache ich meinen Job sehr gern. Aber
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