Was vom Tode übrig bleibt
eine Verwandtschaft? Hat er überhaupt noch eine? Kennt die ihn? Will die ihn kennen?
Vermutlich kümmern sich die Verwandten nicht um ihn und haben den Kontakt meist schon lange abgebrochen, entweder im Streit oder weil nichts zu holen ist. Oder er hat sich abgeschottet. Denn selbst in komplett zerrütteten Verhältnissen kann eine verheißungsvolle Erbschaft die Familienbindungen erstaunlich lange und intensiv aufrechterhalten. Aber wenn nur ein Hartz-IV-Satz monatlich eintrudelt und die Möbel besserer Sperrmüll sind, dann zeigt sich schnell, wie intakt die Familie wirklich ist. Und bei zahlreichen unserer Fälle bezweifle ich sogar, dass noch miteinander telefoniert wurde. Es kann gut sein, dass manchmal der Fleck in der Zimmermitte sogar das Erste ist, was viele seit langem von ihrem entfernten Verwandten zu sehen bekommen. Man kann kaum jemandem einen Vorwurf machen, wenn sich angesichts eines wimmelnden Klumpens mit Fliegenmaden die familiäre Verbundenheit nicht so recht einstellen will.
Wir sehen in solchen Fällen oft mitten in die Realität am unteren Rand der Gesellschaft, und der Anblick ist nicht schön, auch für uns nicht. Wohnungen, in denen Leichen lange liegen, sind selten sehr gepflegt oder gut aufgeräumt. Das sind Messie -W ohnungen, in denen sich der Müll stapelt, die seit Ewigkeiten weder gelüftet noch gereinigt worden sind und in denen oft weit mehr lebt als nur die Maden auf der Leiche des letzten Bewohners. Und wir reden hier aufgrund dieser langjährigen Verwahrlosung von erheblichen Reinigungskosten, die meistens höher sind als der Wert aller Gegenstände, die sich in der Wohnung befinden. Also wird das Erbe und damit auch der Auftrag häufig ausgeschlagen. Und damit wandert der Schwarze Peter weiter zum Besitzer der Wohnung oder des Hauses– bei dem er übrigens bei manchen Urteilen auch sofort, ohne Umweg über die Erben, landet.
Ich weiß nicht, ob man sich als Hausbesitzer gegen so etwas versichern kann. Ich glaube nicht. In jedem Fall versuchen viele, das Problem möglichst billig zu lösen, woraus man schließen kann, dass sie es wohl aus eigener Tasche bezahlen müssen. Billig heißt: Der Hausmeister soll’s machen. Oder der Hausmeister kennt einen früheren weißrussischen Landwirtschaftsingenieur, der das jetzt für 50 Euro schwarz erledigt. Empfehlen kann ich das nicht, das ist weder gut für die Wohnung noch für die Nachbarn noch für den Hausmeister und für den früheren Ingenieur auch nicht. Niemand sollte so eine Arbeit machen, ohne vorher etwas geschult worden zu sein, in fachlicher und in mentaler Hinsicht. Diese Wohnungen können so starke Eindrücke hinterlassen, dass man an derart extreme Bilder gewöhnt sein sollte, weil man sie sonst oft wochen- und monatelang nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Wird die Wohnung allerdings von einer größeren Hausverwaltung betreut, stellt die Bezahlung kein Problem dar. Hausverwaltungen sind an einer schnellen und nachhaltigen Beseitigung der Belastung interessiert– und letztlich ist schnelle Arbeit auch wiederum eine gute Werbung für deren unbürokratische Arbeit.
Am unangenehmsten ist es, wenn man die Frage des Geldes mit Hinterbliebenen erörtern muss, die eine engere Bindung an den Verstorbenen hatten. Es ist zum Beispiel nicht leicht, Eltern mitzuteilen, dass der Selbstmord ihres Kindes nicht nur tragisch ist, sondern auch teuer wird. Oder dass der Amoklauf des durchgeknallten Ehemanns nicht nur ein blutiges Nachspiel hat, sondern auch ein finanzielles. Wir sind es aus den Nachrichten gewohnt, dass bei Schicksalsschlägen wie Flutkatastrophen oder Großbränden oder Ernteausfällen der Staat hilft. In solchen Fällen tut er es nicht, jedenfalls nicht so automatisch, dass ich es mitbekäme. Mit einer Ausnahme: Bei sozial schwachen Fällen in und um München beteiligt sich manchmal die Diözese an den Kosten, was daher kommt, dass Vertreter der Diözese im Kriseninterventionsteam mitarbeiten und so über die jeweiligen Fälle informiert sind. Angenommen, der Mann einer Hartz-IV-Familie bringt sich um, dann kann die Familie aus ihrer Wohnung deshalb nicht ausziehen. In einem solchen Fall kommen wir den Hinterbliebenen mit dem Preis etwas entgegen, die Diözese springt ein, und mit vereinten Kräften geht das dann halbwegs. Aber wenn niemand hilft, bleiben die Kosten an den Hinterbliebenen hängen.
22. Gift
Unsere Giftkammer ist eigentlich nicht mein Lieblingsthema. Kein Schädlingsbekämpfer redet gerne davon, nicht,
Weitere Kostenlose Bücher