Was - Waere - Wenn
Stahltür
mit Zahlenschloß. So weit ich kann, beuge ich mich vor, um an das Rädchen zu
kommen. Der Stuhl, auf den ich mich gestellt habe, kippelt gefährlich, und mir
fällt ein, daß die meisten Unfälle im Haushalt passieren. Mit ausgestreckten
Fingern drehe ich das Rad. Mein Geburtstag. 14 – 06 – 1973. Klack. Die Tür springt
auf.
Ich greife hinein. Meine Ausbeute: ein Portemonnaie, ein Handy und
ein kleiner Filofax. Ich werfe das Türchen wieder zu, drehe ein paarmal am
Nummernschloß und steige dann von meinem Stuhl.
Auf dem Bett liegend nehme ich mir zuerst den Filofax vor. Scheint
mein persönliches Adreßbuch zu sein, jedenfalls ist es meine Handschrift.
Schnell blättere ich zum Buchstaben K. Kein Tim Kramer. Er ist wie vom Erdboden
verschluckt. Ich blättere weiter und entdecke Julies Adresse, die von Heike und
von Isabell. Auch meine Eltern wohnen noch da, wo sie vor meiner Wandlung gelebt
haben. Sogar ihre Telefonnummer ist noch die gleiche. Ich atme erleichtert auf,
wenigstens ein paar Grundfesten in meinem Leben sind geblieben.
Als nächstes nehme ich das Handy und schalte es ein. Das fragt mich
sofort gierig nach einer PIN . Ach, immer diese
Sicherheitsfanatiker. Wenn das wirklich meins ist und ich immer noch so ein
schlechtes Gedächtnis wie früher habe, dürfte es eigentlich nicht so schwierig
sein. 0000 tippe ich. PIN fehlerhaft, noch zwei
Versuche erzählt mir das Display. 1111. Noch ein Versuch. Ich denke scharf
nach. Dann fällt mir der Safe ein, und ich tippe 1406. Das Handy schaltet sich
ein – und intoniert sofort eine Bach-Tokkata. Eine freundliche Frauenstimme
verrät mir, daß ich zwei neue Nachrichten habe. Die erste ist von meinen Eltern,
die hoffen, daß wir wieder heil gelandet sind. Die zweite besteht aus
unverständlichem Rauschen, da hat wohl einer angerufen und es nicht gemerkt.
Angestrengt lausche ich, ob ich doch irgendeinen Anhaltspunkt heraushören kann.
Aber nichts. Nicht mal heimliche Botschaften neben dem Rauschen wie »Satan ist
der wahre Gott«, soll’s ja geben. Ich lege das Handy beiseite und frage mich,
welche Nummer ich wohl habe.
Vielleicht gibt das Adreßbuch mir darüber Auskunft. Das tut es, ich
kann mich auf mein schlechtes Gedächtnis wirklich verlassen. Unter Charly
Maybach finde ich meine eigene Handynummer. Ich streiche den Eintrag unter
Maybach durch und trage ihn bei Lichtenberg wieder ein. Ordnung muß sein, ha!
Dann das Portemonnaie, eigentlich der interessanteste Posten. Zu
meiner großen Freude muß ich feststellen, daß ich stolze Besitzerin diverser
Kreditkarten bin. Die goldene Amex, Diners Club, Visa … Nicht schlecht für
jemanden, der bis vor kurzem von seiner Bank nicht mal mehr eine EC -Karte bekommen hat, geschweige denn eine Kreditkarte.
Laut meiner Versichertenkarte bin ich bei einer Privaten Krankenversicherung,
außerdem bin ich Mitglied im ADAC . Wieso das? Ich
habe ja nicht mal einen Führerschein, oder?
Stimmt nicht: Ich habe einen Führerschein.
Direkt hinter der Karte des Automobilclubs steckt die rosafarbene
Fahrerlaubnis. »Ha!« Ich lache laut auf. Dreimal habe ich versucht, die
Fahrprüfung zu machen. Beim letzten Mal passierte die Geschichte mit dem
Starenkasten und der Fahrerflucht. Danach hat mein Fahrerlehrer mir resigniert
auf die Schulter geklopft, festgestellt, daß eben nicht jeder das Talent zum
Autofahren hat und gleichzeitig auf das ausgezeichnet ausgebaute öffentliche
Hamburger Verkehrsnetz hingewiesen. Dabei fand ich gar nicht, daß ich sooo schlecht
fahre. Aber für Individualisten ist ja heute kein Platz mehr in der
Gesellschaft. Und die rosafarbene Karte in meiner Hand ist der Beweis dafür,
daß ich anscheinend doch das Talent zum Autofahren
habe. Kommt halt nur darauf an, wer es fördert.
Ich durchforste mein Portemonnaie weiter. Mitgliedsausweis eines
Fitneßtempels (ich habe es geahnt: Dieser Körper hat seinen Preis!), eine
Zehnerkarte fürs Sonnenstudio, die Kundenkarte eines Drogeriemarktes – und ein
Fahrzeugschein! Mein Herz schlägt höher. Ich besitze also nicht nur einen
Führerschein, ich habe auch noch ein Auto!
Aufgeregt springe ich auf, renne die Treppe in den Flur hinunter und
bin eine Sekunde später draußen in der Einfahrt. Mit einem der Schlüssel an
meinem Schlüsselbund läßt sich das große Tor zu unserer Doppelgarage
aufschließen. Einer der beiden Plätze ist leer, da parkt wahrscheinlich sonst
der Z3, der im Moment noch beim Segelclub steht. Und auf dem
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