Was will man mehr (German Edition)
Jogginghose vorm Restaurantfenster herumlungert, ähnlich arrogant herabgeschaut. Heute bin ich selbst dieser Typ. Inzwischen weiß ich, wie schnell man hier draußen landen kann. Und ich weiß auch, dass die Weltordnung des Pförtners nicht existiert. Ob jemand eine Jogginghose oder einen Smoking trägt, ist oft nur eine Frage des Zufalls oder der Tagesform.
Immer noch wartet der Pförtner auf eine Reaktion. Ich habe ihn interessiert angesehen, während die Gedanken durch meinen Kopf rauschten. Nun stelle ich erstaunt fest, dass sich der Ausdruck in seinen Augen geändert hat. Es liegt plötzlich ein Hauch von Unsicherheit darin.
Ich ahne, was er denkt. Gerade beschleicht ihn das ungute Gefühl, dass ich zum Kreis der Auserwählten gehören könnte. Das wäre äußerst peinlich für ihn. Bin ich vielleicht ein Minister, der überstürzt die Wohnung seiner Geliebten verlassen musste und sich auf der Flucht irgendwo ein paar Klamotten stibitzt hat? Habe ich eben im Restaurant etwa meinen Stabschef gesucht? Oder bin ich ein gefragter bildender Künstler, der keinen Wert auf sein Äußeres legt? Oder ein ebenso spleeniger wie steinreicher Reeder, der in seiner Lieblingsjogginghose eine Runde um den Block gedreht hat?
Immer noch betrachte ich den Pförtner, und die Unsicherheit in seinem Gesicht ist nun einer leisen Panik gewichen.
«Entschuldigung, Sir. Sind Sie Gast unseres Hauses?», fragt er und versucht nach Kräften, würdevoll und souverän zu erscheinen.
«Wäre ich das, würde ich Ihre Begrüßung zum Anlass nehmen, um mich bei der Direktion über Sie zu beschweren», erwidere ich ruhig und sehe ein fast unmerkliches nervöses Zucken in seinem Gesicht. «Da ich hier jedoch nur verabredet bin, können wir uns diese Unannehmlichkeit wohl sparen.» Ich lächle kurz und milde, als wäre mir schon allein aus Gründen der Bequemlichkeit nicht daran gelegen, ihm die berufliche Zukunft zu versauen.
Er scheint sich zu fragen, wie er mich und die Situation einschätzen soll. Ich ahne, dass er zwischen Angriff und Kapitulation schwankt. Vor ein paar Minuten hätte ich mich noch damit zufriedengegeben, von ihm gnädig zum Lieferanteneingang geschickt zu werden. Jetzt ist mein Ehrgeiz geweckt. Ich werde dieses Hotel durch den Haupteingang betreten. Und dieser Kerl aus dem neunzehnten Jahrhundert wird mir die Tür aufhalten. Das ist ab sofort mein Plan. Gelassen warte ich auf seinen nächsten Schachzug.
Er schluckt, dann überwindet er sich. «Sir, darf ich fragen, mit wem Sie …»
«Nein, Sir», unterbreche ich ruhig. «Das dürfen Sie nicht.»
Ich sehe das Erschrecken in seinem Gesicht, als ich ihn passiere und zum Eingang des Hotels schlendere. Er zögert nur ein, zwei Sekunden, dann beeilt er sich, die Tür zu erreichen, bevor ich sie erreicht habe. Er schafft es, sie so schnell zu öffnen, dass ich mein Schritttempo nicht verringern muss.
«Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend, Sir», höre ich ihn sagen, während ich die Eingangshalle betrete.
Ich kenne Elisabeth von Beuten als Patriarchin mit ausgeprägtem Sinn für glamouröse Auftritte. Vielleicht habe ich deshalb vermutet, sie in großer Garderobe auf einem der Sessel im Restaurant thronen zu sehen. Ich habe erwartet, dass eifrige Kellner sie mit Jahrgangschampagner und Delikatessen umschwirren. Und ich wäre auch nicht überrascht gewesen, Musikanten, Artisten oder einen Hofnarren an ihrem Tisch zu sehen.
Tatsächlich sind Iris’ Informationen richtig. Zu meinem eigenen Erstaunen finde ich Elisabeth von Beuten an der Bar. Der dunkel getäfelte Raum ist gut gefüllt. Ein paar Geschäftsmänner und -frauen, wahlweise mit gelockerten Krawatten oder nachgezogenem Lippenstift, plaudern bei Bier und Wein. Ein Liebespaar mittleren Alters hat sich in eine Ecke zurückgezogen, um ungestört giggeln und flirten zu können. Ein älterer Herr mit Bart, der an Karl Marx erinnert, meditiert über einem großen Brandy. Der uralte Barpianist spielt schleppend The way you look tonight .
Elisabeth sitzt etwas abseits. Sie hat einen Drink nebst Knabberzeug vor sich stehen. Sie raucht dünne weiße Filterzigaretten. Statt einer pompösen Robe trägt sie eine schlichte schwarze Hose und einen ebenso unauffälligen Pullover. Ich habe sie etwas fülliger in Erinnerung. Vielleicht hat sie abgenommen, vielleicht haben auch die opulenten Kleider ihre Figur üppiger wirken lassen. Ihr kurzes Haar ist schwarz gefärbt. Sie trägt ein breites dunkelgraues Haarband.
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