Was will man mehr (German Edition)
ich muss mich nicht mehr so abrackern wie in den letzten Jahren. Ist doch alles okay.»
«Ich sehe dir aber an, dass nicht alles okay ist», erwidere ich.
Schamski schnippt die Zigarette über Bord, vergräbt seine Hände in den Hosentaschen und atmet erneut tief durch. «Erinnerst du dich an unser Gespräch vor Weihnachten?»
«Über Audrey und …?»
«Melissa», vollendet Schamski.
Ich nicke.
«Ich habe lange darüber nachgedacht», sagt Schamski. «Und inzwischen weiß ich, dass Melissa die Frau meines Lebens ist. Es wäre wirklich sehr schön, wenn wir noch ein Kind bekämen. Sollte das aber nicht klappen, dann würde das überhaupt nichts daran ändern, dass ich den Rest meines Lebens mit ihr verbringen will.»
«Das ist doch toll!», sage ich. «Und es trifft sich auch ganz gut. In Zukunft kannst du ja nicht mal mehr ein Buch im Internet bestellen, ohne sie um Hilfe zu bitten.»
Schamski sieht mich ausdruckslos an.
«’tschuldigung. Sollte ein Witz sein», sage ich kleinlaut.
«Mir ist gerade nicht nach Witzen», erwidert Schamski sachlich. «Ich wollte dir eigentlich auch nur sagen, dass ich deshalb nicht ganz wunschlos glücklich bin, weil ich Melissa gerne heiraten würde, um ihr genau das zu zeigen. Dass sie nämlich die Frau meines Lebens ist.»
Ich sehe ihn fragend an. «Und wo ist das Problem?»
Schamski wirkt ungehalten. «Paul. Zum Heiraten braucht man Papiere. Es wäre riesengroßer Schwachsinn, die Behörden auf diese Weise mit der Nase draufzustoßen, wo ich mich aufhalte.»
Ich nicke. Da ist was dran.
«Und wenn ihr erst mal nur kirchlich heiratet?»
«Hab ich auch schon überlegt», erwidert Schamski. «Ist aber das Gleiche in Grün. Und wenn man Pech hat, dann gerät man an einen besonders korrekten Priester, der gleich die Polizei verständigt.»
Ich nicke, vergrabe ebenfalls meine Hände in den Hosentaschen und betrachte die englische Küste, die während unseres Gesprächs ein gutes Stück näher gekommen ist.
«Seltsam», sage ich. «Normalerweise sehe ich die Dinge immer sehr skeptisch. Aber diesmal habe ich das komische Gefühl, dass sich alles zum Guten wenden wird.»
«Wollt ihr ’nen Schnaps?» Unser Kapitän hält uns eine Stange Pappbecher und eine Flasche Scotch hin. «Ist im Fahrpreis enthalten. Ihr könnt damit schon mal anstoßen. Sieht nicht so aus, als würden wir heute noch Schwierigkeiten kriegen.»
«Wollen wir?», frage ich Schamski. «Auf deine neue Heimat?»
Schamski nickt.
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Die Sache ist allerdings illegal
Ein paar Wochen später ist Normalität eingekehrt. Zumindest soweit man angesichts der Situation überhaupt von Normalität reden kann. Schamski arbeitet wieder im Fitnessstudio, ich ebenfalls. Allerdings nur halbtags, weil ich mich um Jona kümmern muss. Glücklicherweise helfen Melissa und Elisabeth mir, wo sie nur können. Aus Kostengründen leben Jona und ich bei Elisabeth, das heißt in jenem Cottage, das zuvor Iris und Timothy bewohnt haben. Optimal ist diese Situation nicht, weil Jonas Urgroßmutter stur, besserwisserisch und sehr streitlustig sein kann, aber wir haben ein Dach über dem Kopf. Außerdem muss ich von meinen ohnehin bescheidenen Einkünften keine Miete abzwacken. Die hat Elisabeth mir nämlich erlassen. Im Gegenzug kümmere ich mich um den Haushalt, den Garten und überhaupt alles, was irgendwie anfällt.
Günther ist längst wieder auf Mallorca. Wegen seiner Falschaussage wollte man ihn zunächst juristisch belangen, ließ die Sache dann aber doch auf sich beruhen. Der Aufwand eines Verfahrens hätte wohl nicht im Verhältnis zu dem Vergehen gestanden. Vielleicht hat aber auch Bronkos Geliebte Michelle ihre Finger im Spiel gehabt. Bevor sie mit ihrem Lover zu einem Shoppingwochenende nach Paris aufgebrochen ist, hat sie angeblich ihren Ehemann instruiert, seinen politischen Einfluss geltend zu machen. Ein Verfahren gegen Günther hätte auch Unannehmlichkeiten für Michelle bedeuten können, und denen wollte die Dame wohl aus dem Weg gehen.
Von Timothy, Iris und der kleinen Mary-Ann fehlt weiterhin jede Spur. In der Familie spricht man nur selten darüber, dass die drei einfach verschwunden sind. Und mit ihnen ein beträchtliches Vermögen. Besonders Elisabeth lässt sich ihre Enttäuschung nicht anmerken.
Audrey wollte vor ein paar Tagen nach London kommen. In letzter Minute wurde dieser Plan auf Eis gelegt, weil sie für einen erkrankten Kollegen einspringen musste. Deswegen weiß sie noch
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