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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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zugewandt, wachsend, sich entwickelnd und vergrößernd.
     Bleibend. Das musste das Ziel in Amerika sein, das wurde mir mit gleißender Klarheit bewusst. Ich hatte keine Ahnung, wie
     wir das schaffen sollten, weder finanziell noch kräftemäßig noch organisatorisch. Aber wir mussten, wir mussten einfach. «Dieses
     Land, genau dieses werden wir bewirtschaften!», so ähnlich hatte es Sonja doch gesagt. Also, dann sollte es so sein!
    Einige Tage später bekam mein naiver Optimismus einen Schlag von hinten verpasst. Baseballschlägermäßig. Ich hockte auf dem
     leeren Heuboden der Scheune und sortierte mal wieder. Kann weg, kann weg, kann weg, kann weg, kann weg, muss bleiben. Es ging
     um Papier, Tonnen von Papier. Alles, was sich im Laufe der Jahre in unserer T V-Produktionsfirma an Papier angehäuft hatte, war nach deren Auflösung hier oben zwischengespeichert worden. Nun war es an mir zu trennen: finanzamtrelevant,
     nicht finanzamtrelevant. Ich wühlte mich durch Berge von Sichtmäppchen, Recherchematerialien, Promi-Gast-Unterlagen, Sendungsabläufen,
     Organisationsplänen, Abrechnungen und abgerechneten Quittungen, als mein Handy piepste. «Sonja ruft an», stand auf dem Display.
    «Hallo, mein Schatz», sagte ich freudig zum Handy, «schön, dass du von dir hören lässt. Wie geht es dir?»
    «Und dir?», fragte Sonja zurück.
    Ich ließ eine Suada über meine Nöte vom Stapel, dass mir das alles eigentlich zu viel sei, ich nicht wüsste, wo mir der Kopf
     stehe, |104| ich in Panik sei, alles zu schaffen bis zum Umzugstermin, wie sehr ich diese Papierscheiße hassen würde, dass ich gar nicht
     daran denken dürfe, wie viel Kraft und Geld und Zeit und Einsatz es gekostet habe, diese Tausende von Blättern mit Inhalt
     zu füllen, der jetzt so was von wertlos sei, aber so was von superwertlos, und überhaupt, was für ein einsamer armer Mann
     ich doch sei und wie tapfer trotz allem und wie sehr ich den Tag herbeisehnen würde, wo das alles erledigt sei und wir den
     ganzen Krempel im neuen Zuhause wieder ausgepackt und eingeordnet haben würden. Wir beide gemeinsam.
    Jetzt war mir leichter, mein Egoismus hatte sich ausgetobt, und endlich fiel mir ein, dass Sonja in Amerika im Provisorium
     lebte, alle Tiere an der Backe hatte und keine Zeit, in Ruhe den Ort und seine Bewohner kennenzulernen, weil sie ja «nebenbei»
     noch einen Film produzierte.
    «Und wie geht es dir in Amerika und in Berlin, was macht der Film, sind die Hunde brav?», fragte ich schuldbewusst.
    «Ach, im Moment geht es mir den Umständen entsprechend gut. Ich liege gerade.»
    «Schön, dass du dich ein wenig ausruhen kannst.» Ich unterdrückte den leichten Anflug von Neid.
    «Die OP ist gut gelaufen, schon in drei Tagen kann ich aus dem Bett», hörte ich Sonja sagen.
    «Was, die OP   … wie, was meinst du mit   … wieso   …?»
    «Dieter, ich hab mir gestern Nacht die Achillessehne gerissen, heute Morgen haben sie mich operiert.»
    Mein Kopf verwandelte sich in Sekundenbruchteilen in ein Chaos aus hysterisch nach einem brauchbaren Kontakt suchenden Synapsen.
     In meinen Ohren pfiff ein Dauerton, mein Blick verengte sich. Eine winzige Spinne krabbelte meinen Ärmel hoch Richtung Handy.
     Ich schüttelte sie ab. Mit der Spinne flog das Handy in hohem Bogen Richtung Bodenluke, kam Zentimeter |105| vor dem Abgrund zum Liegen. Ich stürzte vor, schnappte es mir, presste es wieder ans Ohr und hörte   … nichts. Drehte es richtig herum. «…   drei bis vier Monaten kann ich wieder ohne Krücken gehen, sagt die Ärztin», kriegte ich gerade noch mit.
    Nach zehn Minuten kannte ich die Geschichte zusammenhängend. Sonja war vom Gekreisch einer Katze geweckt worden. Die markerschütternden
     Töne konnte sie eindeutig einer unserer Katzen zuordnen, die inzwischen dabei waren, das fremde Terrain zu erobern. Wieder
     dieser grelle Schrei. Mit einem Satz war Sonja aus den Federn, rannte, den Umweg über die Haustür abkürzend, durch die offene
     Terrassentür nach draußen. Dort traten die Füße meiner tapferen Katzenretterin aber nicht auf die Holzplanken der noch nicht
     vorhandenen Terrasse, sondern auf ein achtzig Zentimeter tiefes Nichts. Der Aufprall war heftig, ein rasender Schmerz durchzuckte
     Sonjas Fußgelenk. Sie entdeckte die Katze, die zitternd im Gras kauerte, und trug sie humpelnd ins Haus, diesmal die Route
     via Treppe und Haustür wählend.
    Drei Stunden später fand sie sich vor Schmerz windend in einer über

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