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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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alle Kinder miteinander bewegen können. Das kommt der Vielfalt der zu erwerbenden Fähigkeiten und dem Bedürfnis der Kinder nach Gemeinschaft und dem Lernen als selbstverständlichem, natürlichem, sich „einfach im Leben ereignenden“ Prozess sehr entgegen. Meines Erachtens sollte das durch den Lehrer geleitete und arrangierte Lernen mit dem freien, selbstständigen Lernen in geschickter Weise kombiniert werden. Eine echte Ausbildung auf die Welt von morgen ist nur in einer heterogenen Gruppe möglich, weil allein sie die Vielfalt bietet, an der die Persönlichkeit der Kinder reift. Die Angst, das fachliche Lernen könne dabei zurückstehen, ist unbegründet, denn genau das Gegenteil ist der Fall. Zum einen kann der Lehrer den Schwerpunkt auf die Thematik an sich legen und den Interessen der Kinder Raum und Priorität geben, weil ja die ausschließlich für die Selektion notwendigen Proben und das damit einhergehende begrenzte und auf bestimmte Ergebnisse
reduzierte Lernen dann entfallen würden. Zum anderen, und dieser Aspekt ist noch weit entscheidender, lernen und erarbeiten sich Kinder an einer Sache unterschiedliche Dinge und bereichern sich gegenseitig gerade durch die daraus resultierende Vielfalt, die sie in den gemeinsamen Lernprozess einbringen. Wir müssen uns das Lernen eines vorgegebenen Inhalts bei einem Kind wie das Zusammensetzen eines Mosaikbildes vorstellen. Alle Kinder beschäftigen sich mit der gleichen Sache, arbeiten sozusagen auf ein gleiches Mosaikbild hin, aber jedes Kind setzt seine Mosaiksteinchen zu einem anderen Zeitpunkt und in seiner eigenen Reihenfolge. Derzeit nötigen wir durch den Gleichschrittunterricht alle Kinder, das gleiche Steinchen zur gleichen Zeit zu setzen — eben daran scheitern viele Kinder, und andere langweilen sich.
    Kindern fehlen jedoch völlig unterschiedliche Aspekte in ihrer Entwicklung, um den Lernprozess erfolgreich abschließen zu können. Entwicklung und Lernen ist ein organischer Prozess und findet zu dem Zeitpunkt statt, in dem alle Dinge dafür bereitstehen und der Schritt des Verstehens und Erfassens möglich ist. Dies geht weit über fachliche Aspekte hinaus, denn ein solcher Prozess kann nicht erzwungen werden. Er kann jedoch verhindert werden, beispielsweise durch die Anwesenheit von Angst. Wenn es aber gelingt, alle Aspekte in der Gemeinschaft präsent zu haben, die zu einem erfolgreichen Lernprozess gehören, findet jedes Kind das vor, was es derzeit für seinen Prozess benötigt, und gleichzeitig sind die einzelnen Lernschritte in ihrem Zusammenhang erfassbar.
    Die jüngeren Schulkinder brauchen noch viel Geborgenheit und Sicherheit, zudem erwerben sie gerade erst die Voraussetzungen, um zunehmend selbstständiger arbeiten zu können. Der gebundene arrangierte Unterricht gewährleistet hier, dass alle Kinder aus dem Gefühl der Sicherheit heraus in ihrer Zeit ihr persönliches Mosaikbild fertigstellen, dabei aber auch von den unterschiedlichen Lernprozessen anderer Kinder aktiv profitieren. Die Inhalte und das Verständnis werden durch die immanente und vielfältige Wiederholung gefestigt und vertieft. Die Gruppendynamik ermöglicht ein sehr effektives und
zudem freudvolles Lernen. Das Ganze erfordert einen Lehrer, der die Vielfalt seiner Kinder kennt, einen passenden Schirm über alle spannt, die jeweils nötige Hilfe gibt und das Lernen jedes Kindes in der Gemeinschaft sinnvoll arrangiert. Das ist viel einfacher, als es zunächst scheinen mag — unter einer Bedingung: Wenn man davon abkommt, dass alle Kinder zum gleichen Zeitpunkt immer exakt das Gleiche können und lernen müssen. Wir müssen Kindern zugestehen, dass sie an der gleichen Sache Unterschiedliches lernen und sich mit der Zeit in jedem Kind ein individuelles (bei vorgegebenen Inhalten am Ende auch gleiches) Mosaik bildet.
    Neben den angeleiteten Phasen in diesem Prozess muss es von Anfang an immer auch Zeiträume geben, in denen die Kinder selbstständig und schöpferisch arbeiten, und auch dieses Arbeiten im Schutz einer geborgenen, sicheren Lernatmosphäre überhaupt erst erlernen können. In diesen Zeiten ist es dann jedem Kind möglich, die in der Gemeinschaft gewonnenen Eindrücke zu verarbeiten und individuell, gegebenenfalls auch mit Anleitung und Unterstützung des Lehrers, an seinem Mosaik weiterzuarbeiten. Jedes Kind wird hier an unterschiedlichen

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