Was wir unseren Kindern in der Schule antun
häufende Erlebnisse des eigenen Versagens führen oft zu Schulunlust oder gar zu Schulangst,
die in weiterer Folge Prozesse der Verdrängung, Resignation oder Aggression nach sich ziehen. Nicht zu vergessen ist, dass schlechte Noten sehr oft das familiäre Klima belasten, wenn mangelhafte Leistungen mit Liebesentzug sanktioniert werden. 33
⢠Kinder bis zur vierten Klasse Lernerfolge primär auf Anstrengung zurückführen und nicht auf den Einsatz der entsprechenden Fähigkeiten. Zumindest für lernschwache Schüler muss ein solches Erklärungsmuster fatale Auswirkungen haben, weil sie in diesem Alter noch nicht über differenzierte Verarbeitungsmöglichkeiten verfügen, um einen Misserfolg konstruktiv oder selbstwertdienlich zu deuten. Kinder im Grundschulalter sind mit der Erteilung von Ziffernnoten überfordert. Sie haben noch keine angemessenen Verarbeitungsstrategien von Erfolg, aber vor allem von Misserfolg. 34
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Forschungsergebnisse sprechen gegen Noten
Die hohe Beliebtheit von Noten ist schwer nachvollziehbar angesichts der schon 1971 von Ingenkamp festgestellten âFragwürdigkeit der Zensurengebung.â 35 Schon damals wurde die ungenügende Messqualität als entscheidender Schwachpunkt herausgestellt: die Subjektivität, die mangelnde Zuverlässigkeit und Gültigkeit sowie die fehlende Vergleichbarkeit, weil das Lehrerurteil am klasseninternen MaÃstab orientiert ist.
Auch die wissenschaftliche Expertise âSind Noten nützlich â und nötig?â 36 zählt als Mängel der Notengebung unter anderem auf:
⢠dass sie nicht vergleichbar sind, da die Bewertung in der Regel auf den Durchschnitt einer Klasse bezogen wird. Deshalb wechseln je nach Leistungsniveau der einzelnen Klasse die Noten für dieselbe Leistung. AuÃerdem sind die MaÃstäbe je nach Fach und Altersstufe unterschiedlich.
⢠dass sich die Leistungsbewertung immer noch am Vergleich mit einer Bezugsgruppe orientiert. Die Dominanz des sozialen Vergleichs bei der Notengebung widerspricht allerdings den rechtlichen Vorgaben. Sie hat zudem negative Auswirkungen auf die Lernmotivation von leistungsschwächeren Schülern, und sie beschädigt die Kraft intrinsischer Motivation auch bei leistungsstärkeren.
⢠dass Zensuren Urteile von Lehrpersonen sind. Die Forschung zeigt seit langem: Noten sind nicht in der behaupteten Weise für das Lernen
nützlich und sie sind erst recht nicht nötig. Sie betonen einseitig die Bewertungsfunktion â können aber auch diese wegen ihrer mangelnden Aussagekraft, Vergleichbarkeit und Objektivität nicht angemessen erfüllen.
⢠dass soziale und ethnische Herkunft, Geschlecht, aber auch individuelles Verhalten des Kindes und persönliche Sympathie zu systematischer Verzerrung der Beurteilung führen. Ihre Fehleranfälligkeit verliert erst an Bedeutung, wenn sie nicht zu Selektionszwecken eingesetzt werden.
⢠dass sie informationsarm sind. Dieselbe Punktzahl in einer Probe kann Ausdruck ganz unterschiedlicher Leistungen sein.
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Fazit
⢠Es gibt nur soziologische und systembedingte Argumente, die für Noten sprechen: ihre nach wie vor ungebrochene Beliebtheit â trotz der pädagogischen Fragwürdigkeit â und die Rolle, die sie bei Ausleseentscheidungen spielen. 37
⢠âAufgrund der Dreigliedrigkeit des deutschen Schulsystems und seiner â verglichen mit anderen Ländern â geringen Durchlässigkeit wird vor allem die Grundschule zu einem Ort, an dem gute Zensuren und gute Zeugnisse eine groÃe lebensgeschichtliche Bedeutung bekommen.â 38
⢠Es gibt kein Verfahren, Leistungen zu messen, das valide, objektiv und verlässlich genug wäre, um Einzelfallentscheidungen über Bildungskarrieren zu rechtfertigen. Sowohl punktuelle Tests als auch Lehrerurteile sind fehleranfällig, methodische Verbesserungen nur begrenzt möglich. 39
⢠Wer an Ziffernnoten festhalten will, weil sie angeblich objektiv und vergleichbar beziehungsweise erforderlich seien, damit Schülerinnen und Schüler sich auf die Anstrengungen des Lernens einlassen, findet weder in der pädagogischen Forschung noch in der Praxis unterstützende Belege für seine Position. 40
⢠Unsere Schule misst meist nicht, was die Schüler können, sondern das, was sie nicht können und ob sie Fehler machen. Dabei ist es sekundär, um welche
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