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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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greift. Es ist die Suche nach dem Schlechteren, um sich selbst besser zu fühlen. Der Maßstab für gutes Lernen wurde vom individuellen Menschen weggenommen und auf eine äußere Instanz übertragen. Und da ist es beruhigend, wenn es noch jemand gibt, der schlechter beurteilt worden ist, oder wenn man gar zu den ganz Guten gehört.
    Und: Jetzt beginnen Kinder in allen möglichen Unterrichtssituationen zu fragen: „Gibt es darauf eine Note?“ Wenn nicht, lassen viele alles fallen und es ist ihnen egal. Anstrengungsbereitschaft gibt es nur noch für die Noten, aber nicht mehr für das Lernen selbst. Es geht auch nicht mehr um die Inhalte an
sich oder darum, was ein Kind verstanden hat und was nicht. Es geht nur noch um die Punkte und die Noten. Die einzelnen Aufgaben und Fehler schauen sich viele Kinder schon nicht mehr an. Das war vorher ohne Noten anders. Ohne Noten war den Kindern wichtig, was sie nicht verstanden hatten. Sie kamen von sich aus auf mich zu, baten mich um Hilfe und arbeiteten daran, bis die Defizite ausgeglichen waren. Jetzt dagegen schauen sie auf die Note und weinen oder freuen sich. Sie erleben die Note als etwas Endgültiges, an dem sie sowieso nichts mehr ändern können. Seit es Noten gibt, kommt kein Kind mehr nach der Probe und bittet darum, dass ich das mit ihm übe, was es noch nicht kann. Der Ehrgeiz, der vorher spürbar war, ist weg. Selbst wenn ich sie frage und Hilfe anbiete, lehnen sie oft ab. Mit der Note ist das zugehörige Thema für die Kinder abgeschlossen und es bedarf keiner weiteren Anstrengung in diesem Bereich.
    Ã„hnliches ist bei den Eltern zu beobachten. Ohne Noten wollten Eltern wissen, was ihr Kind kann und was nicht und wie sie helfen können. Die Gespräche sind da noch sehr konstruktiv, Eltern und Schule ziehen an einem Strang: „Was braucht dieses Kind, damit es sich gut entwickelt und gut lernt?“ Ab dem Zeitpunkt der Notengebung dagegen wird in den Sprechstunden um Punkte gefeilscht, die Korrektur angezweifelt oder als zu hart, unverständlich oder unfair beurteilt. Und die Eltern fragen, was sie tun können, damit ihr Kind bessere Noten schreibt. Nicht sehend, dass den Noten ein relativer Maßstab zugrunde liegt, sind Eltern davon überzeugt, dass sie ihr Kind zu besseren Noten bringen können. Eltern können ihren Kindern ganz sicher helfen, gut zu lernen und für sich bessere Leistungen zu erreichen. Aber zu besseren Noten verhelfen?
    Einzelne Kinder in der Klasse können für sich gesehen sicher auch mal besser werden. Aber wenn ein System auf Verteilung aufgebaut ist, muss es in diesem System auch Kinder geben, die die „hinteren Plätze“ besetzen. Insofern stellt sich nur die Frage, wen es trifft. Dabei bleibt die grobe Verteilung in der Klasse meiner Erfahrung nach relativ konstant: Es bekommen in der Regel immer wieder dieselben Kinder die schlechten Noten.
Wenn die Probearbeiten nun nicht mehr nur in der jeweiligen Klasse, sondern in allen Parallelklassen gleich geschrieben werden, ändert sich das nicht wesentlich, lediglich die Bezugsgruppe wird größer. Dass ein Kind nach hinten rutscht, ist selten, außer wenn die Eltern sich gerade scheiden lassen oder das Kind eine andere kritische Phase durchlebt.
    Doch für die allermeisten Kinder hat das dramatische Absacken der offensichtlichen Leistungen zu diesem Zeitpunkt andere Gründe. Und diese liegen alle im System unserer Leistungsbewertung.
    Die Dreier, Vierer, Fünfer und Sechser werden verteilt. Es kann ja nicht nur Einser und Zweier geben, wo kommen wir denn da hin? Für die Fünferkinder bricht oft eine Welt zusammen. Haben sie sich bislang als fähig erlebt, haben fleißig und motiviert gelernt und sind Stück für Stück vorangeschritten, halten sie sich nun für dumm und unfähig. Die Note auf dem Papier sagt das doch aus! Und egal, was sie tun, die Note wird nicht besser. Aber sind sie wirklich dumm? Täuschen sich die Eltern wirklich so sehr in den Fähigkeiten ihres Kindes?
    Nein. Es gibt keine dummen Kinder. Aber es gibt eine Leistungsbewertung, die uns das glauben lässt.
    Die Kinder kommen mit Entwicklungsunterschieden in die Schule, aber hält man den Unterricht auf hohem Niveau und gelingt es, alle Kinder einzubinden, haben die benachteiligten Kinder fachlich oft sehr schnell aufgeholt. Die Unterschiede sind bald nicht mehr sonderlich groß, und das nicht etwa,

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