Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
Vom Netzwerk:
mir als Lehrerin unter diesen Bedingungen mit der ständigen Angst geht, dass etwas passieren, vielleicht gar jemand ertrinken könnte, interessiert selbstredend auch nicht. Warum auch — geben die Bestimmungen des Kultusministeriums doch vor, dass eine Lehrkraft zum Unterrichten der neunundzwanzig Kinder genügt. Wichtig ist aber, dass ich die Tür zum Schwimmbad stets ordnungsgemäß abschließe, damit kein fremdes Kind ins Becken fällt, das sich verirrt hat. Offiziell auf dem Papier haben zum Schluss jedenfalls alle Kinder in dieser Klasse zwei Jahre Schwimmunterricht erhalten, und alle haben Noten bekommen. Damit ist die Sache erledigt.
    Sinn und Unsinn rund um die Kindersicherheit
    Die Aufsichtspflicht wird als eine der wichtigsten Pflichten eingefordert, allerdings in meinen Augen oft weit übertrieben. Natürlich haben Eltern das Recht, ihre Kinder in guten Händen und beschützt zu wissen. Und natürlich müssen Lehrer auf die Kinder aufpassen und auf deren Sicherheit achten. Aber es wäre im Sinne der Kinder, wenn wir hier wieder ein gesundes Maß finden würden. Kinder dürfen nicht allein durchs Schulhaus laufen, sie müssen als Klasse vom Lehrer geführt werden. Kinder dürfen nicht ohne Lehrer in den nahe liegenden Materialraum
gehen, weil sie sich an den Regalen stoßen könnten. Kinder dürfen nicht allein auf die Toilette gehen, weil sie vor Triebtätern geschützt werden müssen, die sich in den Toiletten verstecken könnten, obgleich viele Schulen inzwischen während der Schulzeit abgesperrt sind und von Fremden nicht betreten werden können. Ja, Kinder dürfen an manchen Schulen nicht einmal allein zur Pause auf den Schulhof oder am Ende des Schultages allein die Treppe hinuntergehen. Ich frage mich manchmal schon, wie diese Kinder selbstständig werden sollen, was beständig gefordert wird, wenn ihnen noch nicht einmal solche einfachen, im Regelfall gefahrlosen Aktionen zugetraut und ermöglicht werden. Ich kann mich noch gut an ein Mädchen in einer zweiten Klasse erinnern, das viel Zeit zum Umziehen benötigte. Sie schaffte es wirklich nicht schneller, und ich hätte es auch falsch gefunden, sie jedes Mal anzuziehen. Die ganze Klasse musste in der Pause und nach der Schule immer auf sie warten, weil wir weder die Erlaubnis bekamen, dass die fertig angezogenen Kinder schon losgehen, noch, dass das einzelne Mädchen, gegebenenfalls auch mit einer Freundin, nachkommen durfte. Ich wurde zuerst angewiesen, dieses Mädchen gehörig unter Druck zu setzen, sie auch mal härter anzusprechen oder gar zu bestrafen. Dann wurde mir mitgeteilt, ich müsste den Unterricht zehn Minuten früher beenden, damit die Kinder rechtzeitig in die Pause beziehungsweise aus der Schule kämen, wenn wir auf dieses Mädchen warten müssten. Das wären pro Woche hundert Minuten weniger Unterricht für die ganze Klasse gewesen, und das nur weil in diesem Fall ein Mädchen nicht allein eine ganz normale, ungefährliche Treppe hinuntergehen durfte! Es wäre wirklich nicht so schwer, individuelle Lösungen für Kinder zu finden, wenn man ab und an ein wenig vom Bürokratismus abweichen und etwas guten Willen zeigen würde.
    So auch bei dem schwerhörige Mädchen, das trotz Mikrofon kaum etwas hören konnte, weil der Raum akustisch völlig ungeeignet war. Ein Tausch des Zimmers schien aber organisatorisch nicht möglich. Oder bei dem Kind, dass sich ein Bein gebrochen hatte. An dieser Schule war es sowohl Lehrern als
auch Kindern verboten, den Aufzug zu benutzen. Da wurde auch für dieses Kind keine Ausnahme gemacht, es musste mit Krücken über die Stufen in die höheren Stockwerke humpeln.
    Natürlich sind das Einzelbeispiele, und es gibt überall viele Lehrer und Schulleiter, die sich um die ihnen anvertrauten Kinder kümmern. Dennoch: In vielen Schulen hält ein Geist der Bürokratie, der Kontrolle, der Absicherung Einzug, gegen den man sich aufgrund der Vorgaben und auch der eventuellen juristischen Folgen kaum schützen kann. Schulen müssen aber Lern- und Lebensorte sein, in denen Kinder sich wohlfühlen und spüren, dass das Wohlergehen eines jeden Einzelnen wichtig ist. Darüber hinaus sollte man Kindern gerade in Schulen einen gesunden Demokratiegedanken vermitteln. Demokratie heißt nämlich meines Erachtens nicht: Die Mehrheit setzt sich auf Kosten der Minderheit

Weitere Kostenlose Bücher