Washington Square
denke, wir werden nach und nach stadtaufwärts ziehen; wenn wir eine Straße satt haben, ziehen wir höher hinauf. Sie sehen also, daß wir immer ein neues Haus haben werden; es ist ein großer Vorteil, ein neues Haus zu haben; man bekommt all die neuen Errungenschaften. Und alle fünf Jahre erfinden sie alles ganz und gar aufs neue, und es ist eine großartige Sache, mit den Neuerungen immer auf dem laufenden zu bleiben. Finden Sie nicht, daß das ein guter Leitsatz für ein junges Paar ist – ständig ›höher kommen‹? Wie heißt doch gleich dieses Gedicht – wie heißt es nur? – ›Excelsior‹!«
Catherine widmete ihrem jungen Besucher gerade so viel Aufmerksamkeit, um zu spüren, daß dies nicht die Art war, wie Morris Townsend neulich abend geplaudert hatte oder wie er jetzt mit ihrer vom Glück bevorzugten Tante sprach. Doch auf einmal wurde ihr strebsamer Verwandter interessanter. Er schien sich bewußt geworden zu sein, daß sie von der Gegenwart seines Begleiters betroffen war, und er hielt es für angebracht, sie ihr zu erklären. »Mein Vetter bat mich, ihn mitzubringen, andernfalls hätte ich mir nicht die Freiheit genommen. Er wollte offenbar sehr gern kommen; Sie wissen ja, er ist ungeheuer gesellig. Ich sagte ihm, daß ich Sie zuerst fragen möchte, aber er sagte, Mrs. Penniman habe ihn |42| eingeladen. Er ist nicht wählerisch mit seinen Worten, wenn er irgendwo hinkommen will. Aber Mrs. Penniman findet es anscheinend ganz in Ordnung.«
»Wir freuen uns sehr, ihn bei uns zu sehen«, sagte Catherine. Und sie hätte gern mehr über ihn gesprochen, aber sie wußte nicht so recht, was sie sagen sollte. »Ich habe ihn noch nie gesehen«, fuhr sie gleich darauf fort.
Arthur Townsend sah sie mit großen Augen an.
»Oh, er sagte mir doch, daß er sich neulich eine halbe Stunde lang mit Ihnen unterhalten habe.«
»Ich meine, vor neulich abend. Das war das erste Mal.«
»O ja, er war nicht in New York – er ist in der ganzen Welt herumgereist. Hier kennt er nicht viele Leute, aber er ist sehr gesellig und möchte gern alle kennenlernen.«
»Alle?« sagte Catherine.
»Nun, ich meine alle Netten. Alle die reizenden jungen Damen – wie Mrs. Penniman!« Und Arthur Townsend lachte in sich hinein.
»Meine Tante hat ihn sehr gern«, sagte Catherine.
»Die meisten haben ihn gern – er ist so voller Einfälle.«
»Er ist mehr wie ein Ausländer«, warf Catherine ein.
»Nun, ich habe nie einen Ausländer kennengelernt«, sagte der junge Townsend in einem Ton, der vermuten ließ, daß diese Unkenntnis dem eigenen Wunsch entsprach.
»Ich auch nicht«, gestand Catherine mit mehr Bescheidenheit. »Man sagt, sie seien im allgemeinen sehr klug«, fügte sie bestimmt hinzu.
»Nun, die Leute in dieser Stadt hier sind klug genug für mich. Ich kenne einige von ihnen, die meinen, sie seien zu klug für mich; aber sie sind’s nicht.«
|43| »Ich glaube, man kann gar nicht zu klug sein«, sagte Catherine, noch immer ganz bescheiden.
»Ich weiß nicht. Ich kenne einige, die meinen Vetter zu klug finden.«
Catherine lauschte dieser Feststellung mit äußerstem Interesse und mit dem Eindruck, wenn Morris Townsend einen Fehler haben sollte, wäre es natürlich dieser, doch sie verriet sich nicht und fragte unverzüglich: »Bleibt er nun für immer hier, nachdem er zurückgekommen ist?«
»Ach«, sagte Arthur, »wenn er etwas zu tun kriegt.«
»Etwas zu tun?«
»Irgendeine Stellung oder etwas anderes; irgendeine Beschäftigung.«
»Hat er denn keine?« fragte Catherine, die nie von einem jungen Mann – der Oberschicht – in dieser Lage gehört hatte.
»Nein; er sieht sich gerade um. Aber er kann nichts finden.«
»Das tut mir sehr leid«, gestattete sich Catherine festzustellen.
»Oh, es macht ihm nichts aus«, sagte der junge Townsend. »Er läßt sich Zeit – es eilt ihm nicht. Er ist sehr wählerisch.«
Catherine fand, das müsse er natürlich sein, und gab sich einige Augenblicke lang der Betrachtung dieses Gedankens in verschiedener Beziehung hin.
»Nimmt ihn denn sein Vater nicht in sein Geschäft, in sein Kontor auf?« erkundigte sie sich schließlich.
»Er hat keinen Vater – er hat nur eine Schwester. Und eine Schwester kann einem nicht viel helfen.«
Catherine hatte den Eindruck, sie würde diesen Grundsatz widerlegen, wenn sie seine Schwester wäre. »Ist sie – ist sie liebenswürdig?« fragte sie unvermittelt.
|44| »Ich weiß nicht, ich glaube, sie ist sehr achtbar«, sagte der
Weitere Kostenlose Bücher