Washington Square
fehlte, war ein verläßlicher Zusammenhang. Sie fühlte seine Küsse auf ihren Lippen und auf ihren Wangen noch lange danach. Diese Empfindung war für ihr Nachdenken eher ein Hindernis als eine Hilfe. Sie hätte ihre Lage gern ganz klar vor sich gesehen, um zu einem Entschluß zu kommen, was sie tun sollte, wenn der Vater, wie sie fürchtete, ihr deutlich machen würde, daß er Morris Townsend ablehne. Doch alles, was sie mit hinlänglicher Deutlichkeit erkennen konnte, war, wie schrecklich merkwürdig es sei, daß ihn überhaupt irgend jemand ablehnen könnte; daß in diesem Fall ein Irrtum vorliegen mußte, |83| ein Rätsel, das bald gelöst werden würde. Sie schob es auf, eine Entscheidung und eine Wahl zu treffen. Bei der Vorstellung einer Auseinandersetzung mit ihrem Vater schlug sie die Augen nieder und bewegungslos saß sie da, hielt den Atem an und wartete. Ihr Herz pochte bei dem Gedanken heftiger; es quälte sie in höchstem Grad. Wenn Morris sie küßte und diese Dinge sagte – auch dann pochte ihr Herz heftiger; doch das hier war ärger und ängstigte sie. Trotzdem, als der junge Mann heute davon sprach, daß sie etwas unternehmen und ihr Vorgehen festlegen müßten, da fühlte sie, daß das aufrichtig sei, und sie antwortete rundheraus und ohne zu zögern.
»Wir müssen unsere Pflicht tun«, sagte sie. »Wir müssen mit meinem Vater sprechen. Ich will es heute abend tun; du mußt es morgen tun.«
»Es ist sehr freundlich von dir, wenn du es zuerst tust«, erwiderte Morris. »Im allgemeinen tut das der junge Mann – der glückliche Liebhaber. Aber ganz wie es dir gefällt.«
Catherine gefiel der Gedanke, daß sie um seinetwillen mutig sein sollte, und im Gefühl ihrer Genugtuung lächelte sie sogar ein wenig. »Frauen haben mehr Takt«, sagte sie. »Sie sollten es zuerst tun. Sie sind ausgleichender; sie können besser überzeugen.«
»Du wirst deine ganze Überzeugungskraft brauchen. Aber schließlich«, fügte Morris hinzu, »bist du ja unwiderstehlich.«
»Bitte sag’ so etwas nicht – und versprich mir, daß du morgen, wenn du mit meinem Vater redest, ganz höflich und respektvoll bist.«
»Soweit wie möglich«, versprach Morris. »Es wird zwar nicht viel nützen, aber ich will es versuchen. Ich |84| würde dich wahrlich lieber mühelos bekommen, als um dich kämpfen zu müssen.«
»Sprich nicht von kämpfen; wir werden nicht kämpfen.«
»Oh, wir müssen darauf gefaßt sein«, entgegnete Morris, »besonders du, denn dich muß es am schwersten ankommen. Weißt du, was dir dein Vater als erstes sagen wird?«
»Nein, Morris; bitte sag’ es mir.«
»Er wird dir sagen, ich sei gewinnsüchtig.«
»Gewinnsüchtig!«
»Das ist ein großartiges Wort, aber es bedeutet etwas Unwürdiges. Es bedeutet, daß ich hinter deinem Geld her bin.«
»Oh!« murmelte Catherine sanft.
Dieser Ausruf war so ablehnend und ergreifend, daß sich Morris eine weitere kleine Liebesbezeigung gestattete. »Aber er wird es ganz sicher sagen«, setzte er hinzu.
»Es ist für mich nicht schwer, darauf gefaßt zu sein«, sagte Catherine. »Ich werde ganz einfach sagen, daß er sich irrt, daß andere Männer so sein mögen, aber du nicht.«
»Du mußt nachdrücklich darauf bestehen, weil er selbst darauf bestehen wird.«
Catherine sah ihren Liebhaber eine kleine Weile an und sagte dann: »Ich werde ihn überzeugen. Aber ich bin froh, daß wir reich sein werden«, fügte sie hinzu.
Morris wandte sich ab und blickte in seinen Hut. »Nein, es ist ein Mißgeschick«, sagte er schließlich. »Gerade daher werden unsere Schwierigkeiten kommen.«
»Nun, wenn das unser schlimmstes Mißgeschick ist, sind wir nicht gar so unglücklich. Viele Leute werden |85| das gar nicht so schlimm finden. Ich werde ihn überzeugen, und dann werden wir sehr froh darüber sein, daß wir Geld haben.«
Morris Townsend hörte sich schweigend diese selbstsichere Logik an. »Ich vertraue dir meine Verteidigung an; für einen Mann ist es belastend, wenn er sich dazu erniedrigen muß, sich gegen so etwas zu verteidigen.«
Catherine schwieg ihrerseits eine Weile. Sie sah ihn an, während er unverwandt aus dem Fenster blickte. »Morris«, sagte sie jäh, »bist du dir ganz sicher, daß du mich liebst?«
Er drehte sich um und beugte sich augenblicklich über sie.
»Meine Liebste, kannst du daran zweifeln?«
»Ich weiß es erst fünf Tage«, sagte sie, »aber jetzt kommt es mir vor, als könnte ich ohne das nicht mehr auskommen.«
»Du wirst
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