Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
Vom Netzwerk:
ausschöpfte. Mrs. Pennimans wahre Hoffnung bestand darin, daß das Mädchen eine heimliche Ehe eingehen würde, bei der sie, die Tante, das Amt einer Brautführerin oder Duenna übernähme. In ihrer Vorstellung sah sie bereits, wie diese Zeremonie in einer unterirdischen Kapelle erfolgte – unterirdische Kapellen waren in New York nicht gerade häufig, doch Mrs. Pennimans Einbildungskraft war durch Lappalien nicht kleinzukriegen – und wie das schuldhafte Paar – sie liebte es, Catherine und ihren Freier als schuldhaftes Paar zu betrachten – in einem geschwind davonwirbelnden Gefährt nach irgendeiner obskuren Vorstadtbehausung hinweggeführt wurde, wo sie ihm (in einen dichten Schleier gehüllt) heimliche Besuche abstatten würde, wo sie eine Zeitspanne romantischer Entbehrungen durchzumachen hätten und wo zu guter Letzt, nachdem sie die irdische Vorsehung der beiden gewesen wäre, ihre Vermittlerin, Fürsprecherin und ihre Verbindungsperson zur Welt, das Paar mit ihrem Bruder versöhnt würde in einem kunstvollen Tableau, worin sie in irgendeiner Weise die zentrale Gestalt wäre. Sie zögerte bisher noch, Catherine diese Möglichkeit vorzuschlagen, doch sie versuchte, Morris Townsend ein verlockendes Bild davon zu entwerfen. Sie stand in täglicher Verbindung mit dem jungen Mann, den sie brieflich über den Stand der Dinge am Washington Square auf dem laufenden hielt. Da er, wie sie sich ausdrückte, aus dem Haus verbannt worden war, traf sie ihn nicht mehr; doch schließlich schrieb sie ihm, daß sie sehnlichst eine Unterredung mit ihm wünsche. Diese Unterredung konnte nur auf neutralem Terrain stattfinden, und sie bedachte sich gründlich, ehe sie einen Treffpunkt aussuchte. Sie neigte zum Greenwood-Friedhof, |124| gab es aber auf, weil er zu weit entfernt war; sie konnte nicht so lange fort sein, wie sie sagte, ohne Argwohn zu erregen. Dann dachte sie an die Battery, aber dort war es ziemlich kalt und windig, außerdem war man dort der Zudringlichkeit der irischen Einwanderer ausgesetzt, die an dieser Stelle mit gewaltigem Appetit die Neue Welt betreten; zu guter Letzt entschied sie sich für ein Austern-Restaurant in der Seventh Avenue, das von einem Neger betrieben wurde – ein Lokal, von dem sie nichts wußte, als daß sie es im Vorübergehen bemerkt hatte. Sie vereinbarte mit Morris Townsend, ihn dort zu treffen, und begab sich bei Einbruch der Dämmerung, in einen undurchdringlichen Schleier gehüllt, zu der Verabredung. Morris ließ sie eine halbe Stunde warten – er hatte fast die ganze Breite der Stadt zu durchqueren –, doch sie wartete gern, das schien ihr diese Situation noch zu verschärfen. Sie bestellte eine Tasse Tee, wobei sich das Getränk als ausnehmend schlecht erwies, und das vermittelte ihr das Gefühl, in einer romantischen Angelegenheit zu leiden. Als Morris schließlich anlangte, saßen sie eine halbe Stunde lang in der dämmrigsten Ecke des Hinterzimmers; und es ist schwerlich zuviel gesagt, daß dies die glücklichste halbe Stunde war, die Mrs. Penniman seit Jahren erlebt hatte. Die Situation war in der Tat aufregend, und es erschien ihr kaum als Unstimmigkeit, als ihr Tischgenosse ein Austernschmorgericht bestellte und sich anschickte, es vor ihren Augen zu verzehren. Morris benötigte wahrlich die ganze Befriedigung, die ihm Austern gewähren konnten, denn es kann dem Leser verraten werden, daß er Mrs. Penniman als fünftes Rad am Wagen ansah. Er befand sich in einem Zustand der Verärgerung, der nur natürlich ist für einen Gentleman mit hervorragenden Eigenschaften, der bei |125| dem wohlwollenden Versuch, einer jungen Frau ohne hervorragende Eigenschaften eine Auszeichnung zu gewähren, von oben herab behandelt wurde, und die einschmeichelnde Sympathie dieser etwas vertrockneten Matrone schien ihm keine praktische Hilfe zu bieten. Er hielt sie für eine Schwätzerin, und über Schwätzer urteilte er mit beträchtlicher Selbstsicherheit. Zunächst hatte er ihr zugehört und sich ihr gefällig gemacht, um am Washington Square Fuß zu fassen; und jetzt brauchte er seine ganze Selbstbeherrschung, um annehmbar höflich zu sein. Es hätte ihn mit Befriedigung erfüllt, ihr sagen zu können, daß sie ein überspanntes altes Weib sei und er sie am liebsten in einen Omnibus setzen und nach Hause schicken würde. Wir wissen jedoch, daß Morris die Tugend der Selbstbeherrschung besaß, und überdies hatte er die feste Gewohnheit, sich tunlichst gefällig zu machen, so daß er

Weitere Kostenlose Bücher