Washington Square
ihr, obgleich Mrs. Pennimans Verhalten seine ohnedies mitgenommenen Nerven reizte, mit einer ingrimmigen Ehrerbietung, an der sie viel zu bewundern fand, zuhörte.
|126| 16. KAPITEL
Natürlich hatten sie unverzüglich von Catherine gesprochen. »Schickt sie mir eine Botschaft oder – oder sonst irgend etwas?« fragte Morris. Er dachte anscheinend, sie könnte ihm ein Schmuckstück oder eine Locke ihres Haares zugesandt haben.
Mrs. Penniman war ein wenig in Verlegenheit, denn sie hatte ihrer Nichte nichts von der beabsichtigten Unternehmung erzählt. »Nicht eigentlich eine Botschaft«, sagte sie. »Ich habe sie nicht darum gebeten, weil ich fürchtete, sie – sie in Erregung zu versetzen.«
»Ich fürchte, sie ist nicht sehr erregbar.« Und Morris lächelte etwas verbittert.
»Sie ist besser als das – sie ist standhaft, sie ist treu.«
»Glauben Sie, daß sie weiterhin fest bleibt?«
»Bis zum Tod!«
»Oh, ich hoffe doch, daß es nicht dazu kommt«, sagte Morris.
»Wir müssen aufs Schlimmste gefaßt sein, und gerade darüber möchte ich mit Ihnen sprechen.«
»Was verstehen Sie unter dem Schlimmsten?«
»Nun«, sagte Mrs. Penniman, »die harte, intellektuelle Art meines Bruders.«
»Ach, zum Teufel!«
»Er ist jeder Regung von Erbarmen unzugänglich«, setzte Mrs. Penniman zur Erklärung hinzu.
»Meinen Sie, daß er nicht nachgeben wird?«
»Er wird niemals durch ein Argument bezwungen. |127| Nur durch die vollendete Tatsache kann er bezwungen werden.«
»Die vollendete Tatsache?«
»Daraufhin wird er nachgeben«, sagte Mrs. Penniman mit äußerster Bedeutsamkeit. »Er kümmert sich ausschließlich um Tatsachen – er muß mit Tatsachen konfrontiert werden.«
»Nun«, erwiderte Morris, »es ist immerhin eine Tatsache, daß ich seine Tochter heiraten möchte. Ich habe ihn unlängst damit konfrontiert, aber das hat ihn durchaus nicht überzeugt.«
Mrs. Penniman schwieg eine kleine Weile, und ihr Lächeln, beschattet von ihrem umfangreichen Hut, an dessen Rand ihr schwarzer Schleier vorhangartig angebracht war, heftete sich mit einem noch zärtlicheren Strahlen auf Morris’ Gesicht.
»Heiraten Sie erst Catherine, und setzen Sie sich daraufhin mit ihm auseinander!« rief sie.
»Das schlagen Sie vor?« fragte der junge Mann mit starkem Stirnrunzeln.
Sie war ein wenig erschrocken, fuhr jedoch mit beachtlichem Wagemut fort. »Meiner Meinung nach müßte man so vorgehen: eine heimliche Hochzeit – eine heimliche Hochzeit.« Sie wiederholte diese Wendung, weil sie ihr so gefiel.
»Meinen Sie, ich soll Catherine entführen? Wie sagt man doch gleich – mit ihr durchbrennen?«
»Es ist kein Verbrechen, wenn Sie dazu getrieben werden«, sagte Mrs. Penniman. »Mein Mann war, wie ich Ihnen schon erzählt habe, ein hervorragender Geistlicher, einer der sprachgewaltigsten Männer seiner Zeit. Er traute einmal ein junges Paar, das sich aus dem Hause der jungen Dame davongemacht hatte; so sehr war er |128| von der Geschichte der beiden betroffen. Er hatte keine Bedenken, und alles nahm einen wundervollen Ausgang. Der Vater wurde nachher beschwichtigt und bekam die beste Meinung von dem jungen Mann. Mr. Penniman traute sie am Abend gegen sieben Uhr. Die Kirche war so dunkel, daß man kaum etwas sehen konnte, und Mr. Penniman war heftig bewegt – er war so mitfühlend. Ich glaube, er hätte das kein zweites Mal fertiggebracht.«
»Leider haben Catherine und ich keinen Mr. Penniman, der uns trauen könnte«, sagte Morris.
»Nein, aber ihr habt mich!« entgegnete Mrs. Penniman bedeutungsvoll. »Ich kann allerdings nicht die Zeremonie vollziehen, aber ich kann euch helfen; ich kann achtgeben!«
›Die Frau ist nicht ganz bei Trost!‹ dachte Morris, aber er mußte wohl oder übel etwas anderes sagen. Doch wesentlich höflicher war es auch nicht gerade. »War es das, was Sie mir sagen wollten, als Sie mich baten, Sie hier zu treffen?«
Mrs. Penniman war sich einer gewissen Unklarheit bei ihrem Botengang bewußt und auch, daß sie nicht imstande war, ihm irgendeine annehmbare Entschädigung für seinen langen Weg zu bieten. »Ich dachte, Sie würden vielleicht gern jemanden sprechen, der Catherine so nahe ist«, bemerkte sie mit erheblicher Würde, »und auch«, setzte sie hinzu, »daß Sie eine Gelegenheit, ihr etwas zu übermitteln, schätzen würden.«
Morris breitete seine leeren Hände mit einem melancholischen Lächeln aus. »Ich bin Ihnen sehr verbunden, aber ich habe nichts zu
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