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Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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würde – daß es letzten Endes das beste wäre.«
    »Sie meinen, was sie auch tun mag, auf lange Sicht wird sie das Geld erhalten?«
    »Es hängt nicht von ihr ab, sondern von Ihnen. Wagen Sie es doch, sich so uneigennützig zu zeigen, wie Sie sind«, sagte Mrs. Penniman scharfsinnig. Morris senkte die Augen wieder zum sandbestreuten Fußboden und erwog das, indes sie fortfuhr: »Mr. Penniman und ich hatten nichts, und wir waren sehr glücklich. Catherine hat überdies noch das Vermögen ihrer Mutter, das zu der Zeit, als meine Schwägerin heiratete, als sehr stattlich angesehen wurde.«
    |132| »Oh, sprechen Sie nicht davon!« sagte Morris; und in der Tat war das völlig überflüssig, da er diesen Umstand bereits in jeder Hinsicht durchdacht hatte.
    »Austin hat eine Frau mit Geld geheiratet – warum sollten Sie das nicht auch tun?«
    »Ach ja, aber Ihr Bruder war Arzt«, warf Morris ein.
    »Nun, schließlich können nicht alle jungen Männer Ärzte sein.«
    »Ich halte das für einen höchst ekelhaften Beruf«, sagte Morris mit einer Miene geistiger Unabhängigkeit; dann fuhr er auf einmal ziemlich unvermittelt fort: »Glauben Sie, daß bereits ein Testament zu Catherines Gunsten vorliegt?«
    »Ich nehme es an – selbst Ärzte müssen sterben; vielleicht ist es auch ein wenig zu meinen Gunsten«, setzte Mrs. Penniman offenherzig hinzu.
    »Und Sie glauben, er würde es sicher ändern – soweit es Catherine betrifft?«
    »Ja; und das dann wieder rückgängig machen.«
    »Ach, aber darauf kann man sich nicht verlassen«, sagte Morris.
    »Wollen Sie sich denn darauf
verlassen
?« fragte Mrs. Penniman.
    Morris wurde ein wenig rot. »Nun, ich befürchte wahrhaftig, die Ursache für einen Nachteil Catherines zu sein.«
    »Ach, Sie brauchen nichts zu befürchten. Befürchten Sie nichts, und alles wird gut gehen.« Und dann bezahlte Mrs. Penniman ihre Tasse Tee, und Morris bezahlte sein Austernschmorgericht, und sie gingen zusammen hinaus in das matt erleuchtete Gewirr der Seventh Avenue. Die Dämmerung war vollends eingebrochen, und die Straßenlampen waren voneinander geschieden durch weite |133| Zwischenräume, in deren Pflaster Löcher und Spalten eine unverhältnismäßig große Rolle spielten. Ein mit seltsamen Bildern gezierter Omnibus fuhr rumpelnd über die defekten Pflastersteine.
    »Wie wollen Sie nach Hause?« fragte Morris, der dieses Gefährt mit interessiertem Blick verfolgte. Mrs. Penniman hatte seinen Arm genommen.
    Er zögerte einen Moment. »Ich finde, so wäre es angenehm«, sagte sie und ließ ihn weiterhin den Nutzen seines Beistands fühlen.
    So wandelte er denn mit ihr durch die gewundenen Wege im Westen der Stadt und durch die Geschäftigkeit der bei der einbrechenden Dunkelheit von Menschen wimmelnden Straßen bis zum ruhigen Bezirk des Washington Square. Sie verweilten noch einen Moment am Fuße von Dr. Slopers weißen Marmorstufen, über denen eine makellos weiße Tür, geschmückt mit einem silbern glänzenden Schild, für Morris das verschlossene Tor zum Glück zu symbolisieren schien; und daraufhin ließ Mrs. Pennimans Begleiter einen melancholischen Blick auf einem erleuchteten Fenster im oberen Teil des Hauses ruhen.
    »Das ist mein Zimmer – mein liebes kleines Zimmer!« bemerkte Mrs. Penniman.
    Morris sah sie verblüfft an. »Dann muß ich ja gar nicht um den ganzen Platz herumspazieren, um dort hinaufschauen zu können.«
    »Ganz wie es Ihnen zusagt. Aber Catherines Zimmer liegt hinten; zwei stattliche Fenster im zweiten Stock. Ich glaube, Sie können sie von der andern Straße aus sehen.«
    »Ich möchte sie gar nicht sehen, Madam.« Und Morris kehrte dem Haus den Rücken.
    »Jedenfalls werde ich ihr erzählen, daß Sie
hier
waren«, |134| sagte Mrs. Penniman und deutete auf die Stelle, wo sie standen, »und ich werde Ihre Botschaft an sie übermitteln – daß sie durchhalten soll.«
    »O ja, natürlich. Sie wissen ja, daß ich ihr das alles schreibe.«
    »Es scheint mehr zu besagen, wenn es gesprochen wird. Und wenn Sie mich brauchen, denken Sie daran, daß ich
dort
bin«, und Mrs. Penniman warf einen Blick zum dritten Stock hinauf. Damit trennten sie sich, und Morris, sich selbst überlassen, blieb einen Augenblick stehen und betrachtete das Haus; dann machte er sich auf und spazierte in düsterer Stimmung um den Platz auf die gegenüberliegende Seite, dicht am Holzzaun entlang. Hierauf kehrte er zurück und blieb eine Minute vor Dr. Slopers Wohnstatt stehen. Seine Augen

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